Was habe ich getan

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jenvo82 Avatar

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Estelle Paradise ist eine junge Mutter, die nicht mehr weiß, was mit ihrem 7 Monate altem Baby geschehen ist. Sie selbst ist nur knapp einem Unfalltod entgangen und leidet seitdem unter Amnesie. In den Tiefen ihres Unterbewusstseins ist irgendwo der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit begraben, doch für die Öffentlichkeit ist schnell klar: Estelle ist eine Mörderin, die ihren Gedächtnisverlust nur vorschiebt, um sich der Verantwortung für ihre grausame Tat zu entziehen. Mit Hilfe des Psychiaters Dr. Ari begibt sie sich auf Spurensuche und rekonstruiert Stück für Stück die Ereignisse, kurz vorm Verschwinden ihrer kleinen Mia. Doch die Zweifel lassen sich nicht zerstreuen und Estelle fragt sich unaufhörlich, zu welcher Tat sie fähig sein könnte und ob ihre Sinne sie nicht trügen.

Dieser Thriller hat es in sich, denn er fokussiert nicht nur ein Tabu-Thema unserer Gesellschaft, sondern erzeugt eine ganz eigene, intensive Atmosphäre die dem Roman seine ständig vorhandene Präsenz gibt. Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine junge Frau, die sich mit einer schweren postnatalen Depression und einer daraus resultierenden Psychose durchs Leben schlagen muss und der kaum Hilfe angeboten wird. Die Autorin schildert bildlich und damit auch beängstigend die seelische Belastung, die schweren Selbstvorwürfe und die möglichen schrecklichen Konsequenzen, die sich aus dem labilen Gesundheitszustand der Mutter ergeben. Für persönlich Betroffene sind die entsprechenden Textstellen wohl nur schwer zu ertragen, weil sie gezielt die innere Verzweiflung und Leere heraufbeschwören, die ein ständig schreiendes Baby bei der überforderten Bezugsperson hervorrufen.

Gut die Hälfte des Thrillers beschäftigt sich mit dieser Thematik, ohne wirklich einen Handlungsfortgang zu präsentieren. Genau dieser Umstand führt dazu, dass es von mir Punktabzug gibt, denn ich empfinde die Szenerie als ein Psychogramm einer verirrten Seele und weniger als nervenaufreibenden Thriller. Dafür bekommt der Leser ein wirklich lückenloses Bild des Krankheitsverlaufs geschildert, welches durchaus seine Reize hat. Erst im zweiten Teil des Buches nimmt der Thriller dann Tempo auf, weil die Hauptprotagonistin ihre verschüttete Erinnerung an die Oberfläche holen kann.

Der Schreibstil liest sich flüssig und auch die Einteilung des Buches in mehrere Teile ergibt Sinn und animiert zum Lesen. Positiv zu beurteilen sind auch die Schriftgröße und die Handlichkeit des Buches, denn man kann es sich damit richtig bequem machen.

Fazit: Meine Erwartungen wurden hier nicht ganz erfüllt, weil ich mir mehr Nervenkitzel und ungeahnte Wendungen erhofft habe. Die Entwicklung des Romans ist sehr vorhersehbar, die Verdächtigen stehen bald fest und es gibt kaum Überraschungen. All das sind für mich jedoch wesentliche Bestandteile für einen Thriller. Dennoch konnte mich das Buch fesseln, weil es eine andere Richtung eingeschlagen hat, bei der es kontinuierlich blieb. Ich vergebe insgesamt 3,5 Sterne (aufgerundet 4) für einen Thriller mit psychischer Komponente und gut ausgearbeiteten Charakteren, der ein Gefühl der Beklemmung hervorrufen kann und die Grenze zwischen den Möglichkeiten und den Unwahrscheinlichkeiten gekonnt verwischt.