Nachkriegswirren...

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Nachdem ich vom ersten Band der Reihe um die Freunde Artur, Isi und Carl so angetan war – wann vergebe ich schon einmal für einen historischen Roman satte 5 Sterne?! - freute ich mich nun sehr auf die Fortsetzung der Erzählung. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der die drei Freunde hart geprüft hat, treffen sie sich nun im Nachkriegs-Berlin wieder.


Erster Satz: „Der Kaiser weilt gerade in Spa, als sein Volk ihn stürzt.“ (S. 9)


Der Roman beginnt an dem Tag des Abdankens des Kaisers. Revolution in Berlin und in ganz Deutschland, das Schloss wird gestürmt – und mittendrin Artur und Isi, Carl bleibt als Ich-Erzähler bei diesen Geschehnissen außen vor. Gemeinsam mit den drei Freunden trudelt der Leser von da aus durch die unruhige Zeit ohne politische Linie, alles scheint möglich. Das Ende der Monarchie, Spartakusbund gegen die Kaisertreuen und Militaristen, Novemberrevolution, Kapp-Putsch, der stotternde Beginn der Weimarer Republik, laufend wechselnde Reichspräsidenten, die hohen, unzumutbaren Reparationsforderungen der Siegermächte, festgehalten im umstrittenen Versailler Vertrag: Deutschland brodelt – ein idealer Nährboden für extremistische Gruppierungen.

Gerade in der ersten Hälfte des Romans hatte ich dadurch jedoch leider Mühe, in das Geschehen hineinzufinden. Zu offensichtlich geriet hier oftmals der Versuch, den Roman rund um die sich überschlagenden historischen Ereignisse aufzuziehen, das Geschehen geriet dadurch für mich oft zu sprunghaft. Man bekommt durchaus eine Idee davon, wie chaotisch die damaligen Zustände waren, wie eklatant der Unterschied zwischen den wenigen Reichen, die über die Geschicke der jungen Republik zu bestimmen versuchten, und den zahllosen Armen, die oftmals nicht einmal wussten, woher sie den Bissen Brot für den nächsten Tag nehmen sollten. Aber die eigentliche Erzählung um Carl, Artur und Isi geriet dadurch oft eher nebensächlich, bildete allenfalls einen roten Faden, an dem sich die historischen Fakten wie eine zu schwere Perlenkette aufreihten.

Zur Hälfte hin wurde es dann etwas ruhiger vom politischen Geschehen her, dafür gewann die Erzählung um die drei Freunde endlich an Tiefe. Passagenweise war ich da auch wieder emotional beteiligt, was mir in der ersten Hälfte doch meist abging. Die Entwicklung der Figuren verlief dabei weitestgehend in zu erwartenden Bahnen:

Isi, der Freigeist, immer für eine Überraschung gut, voller Einsatz für ihre Überzeugungen, die sie unter Umständen dann doch wieder über den Haufen wirft, nie klein beigebend, aber immer treu und unverbrüchlich in ihrer Freundschaft. Menschlichkeit vor Etikette, Überzeugung vor Sicherheit, rotzfrech und doch das Herz auf dem rechten Fleck.

Artur, dem der Krieg wahrlich übel mitgespielt hat, lässt sich ebenfalls nicht unterkriegen. Er hat nach wie vor den Riecher für das richtige Geschäft zur rechten Zeit, setzt sich als geborener Anführer auch in der Unterwelt durch, besetzt zentrale Positionen mit den richtigen Leuten, knüpft Beziehungen und ist in seinen Ideen allen anderen immer eine Nasenlänge voraus. Vor allem aber ist er immer für seine Freunde da und versucht sie stets vor allem Übel zu beschützen. Und in der Wahl der Mittel ist er durchaus nicht zimperlich.

Carl schließlich, der etwas naive Sohn des jüdischen Schneiders aus Thorn, einem ehemals ostpreußischem Dorf, aus dem es die drei Freunde seinerzeit in die Kriegswirren trieb, bleibt seiner Begeisterung für das Fotografieren treu. Ihm gelingt es schließlich, als Kameramann bei der UFA zu arbeiten und begegnet dort bekannten Schauspieler:innen und Regisseuren der damaligen Zeit (Ernst Lubitsch, später auch Fritz Lang). Auch bei diesem Thema beweist Andreas Izquierdo einmal mehr seine Liebe zum Detail und sein Bestreben nach einer sorgfältigen Recherche. Mir persönlich war das oftmals des Guten zu viel, was aber v.a. daran liegt, dass mich die Filmbranche tatsächlich überhaupt nicht interessiert und mir die Namen aus der Stummfilmära bis auf die Genannten auch meist nichts sagten.

Doch beschränkt sich die Entwicklung der Figur des Carl nicht nur auf sein berufliches Emporkommen, sondern reicht auch in den privaten Bereich hinein. Von einer neuen Liebe bleibt ihm bald nur noch ein Kind, Hans, der nicht nur das Trauma vom Tod seiner Mutter verwinden muss, sondern fortan auch noch für jedes Übel herhalten muss, das da so kommen kann. Häufig wechselnde Bezugspersonen durch Kindermädchen mit fragwürdiger politischer und/oder menschlicher Haltung, zahllose seelische und körperliche Verletzungen durch verschiedenste widrige Umstände – gefühlt musste alles der arme Hans ausbaden. Das war mir dann doch des Guten zu viel. „Das nicht auch noch“, habe ich da mehr als einmal gedacht. Das Ende des Romans lässt erahnen, dass Hans noch eine wichtige Rolle zukommen wird, als Heranwachsender ohne Vertrauen, Empathie und Liebe, ein Überlebender vieler Traumata. Aber das überfrachtete Schicksal des Jungen empfand ich im Verlauf doch als arg übertrieben.


„Der Krieg war vor knapp drei Jahren zu Ende gegangen, doch nur, um von einem anderen Krieg abgelöst zu werden: ohne Front, ohne Waffen, ohne Schreie, aber mit Hunger, Krankheit und einem leisen Sterben der Hoffnung.“ (S. 490)


Der Roman vermischt alles in allem gekonnt das Geschehen um die fiktiven Charaktere mit historisch realen Personen und Fakten, so dass ein atmosphärisches Bild der unruhigen Zeit in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg entsteht, das allerdings z.T. überfrachtet wirkt durch die sich überschlagenden Ereignisse, und das teilweise auch Längen aufweist, was mir trotz des wieder einmal meist eingängigen Schreibstils das flüssige Lesen erschwerte. Gerade in der ersten Hälfte des Romans wirkte die Rolle der drei Freunde im wirren Zeitgeschehen teilweise sehr konstruiert und nicht immer wirklich vorstellbar. Dennoch habe ich die Ereignisse um Carl, Isi und Artur nicht ungern gelesen, und das Ende mit dem wirklich fiesen Cliffhanger lässt mich natürlich neugierig zurück.

Ob es sich hier um eine geplante Trilogie handelt oder um eine mehrbändige Reihe, entzieht sich meiner Kenntnis. Dass es aber weitergehen wird, ist klar – und ich wäre gerne wieder dabei, auch wenn mich dieser zweite Band nicht ganz so überzeugen konnte wie der erste...


© Parden