Fiktion trifft auf wahre Geschichte

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Brigitte Glaser verwebt in "Rheinblick" eine fiktive Geschichte mit den realen Ereignissen unmittelbar nach der Bundestagswahl 1972. Auf 415 eng bedruckten Textseiten erlebt der Leser aus vier recht unterschiedlichen Blickwinkeln zwei - nicht nur politisch - ereignisreiche Wochen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn.
Es ist ehrlich gesagt keine sonderlich spannende Geschichte und auch das Konzept ungewöhnliche, starke Frauen in von Männern bestimmten Zeiten gab es schon so oft. Aber Brigitte Glaser gelingt es wie schon bei "Bühlerhöhe", dennoch das ganze sowohl unterhaltsam als auch lehrreich aufzubereiten. Für mich war das Buch vor allem deshalb so lesenswert, weil es das politische und auch das alltägliche Bonn im Jahr 1972 anschaulich charakterisiert. Vor allem die beiden jungen Frauen Sonja und Lotti, aus deren Sicht man u.a. das Geschehen verfolgt, wuchsen mir ein Stück ans Herz. Mit den beiden anderen Hauptdarstellern Hilde und Max habe ich mich etwas schwerer getan, aber es ist ja auch nicht notwendig jeden Charakter zu mögen.
Im Hintergrund schwebt immer wieder der zum Schweigen verdonnerte Bundeskanzler Willy Brandt, der auch aufgrund seiner Spachlosigkeit etwas blass bleibt. Ich finde, Brigitte Glaser hat hier aber ein gutes Maß gefunden – ganz schnell wäre das Buch sonst nämlich ein Roman über die reale Person Willy Brandt geworden anstatt über vier fiktive, mehr oder weniger durchschnittliche Bonner.

Eine unterhaltsame Charakterstudie der Bundesrepublik im Jahre 1972 – da sehe ich großzügig über die etwas schwache Geschichte hinweg.