Intrigen, Ränken und Verrat – Politik (nicht nur) in der Bonner Zeit

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miltonia 01 Avatar

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Die politische Seite des Buchs: November 1972: Willy Brandt und die SPD haben gerade die Bundestagswahlen gewonnen, Brandt hat sich im Wahlkampf allerdings so verausgabt, dass er ernsthafte gesundheitliche Probleme hat und sich in Bonn in eine Klinik zurückziehen muss.

Um seine Gesundung soll sich die junge Logopädin Sonja kümmern, allerdings hat sie kaum Gelegenheit, ihrem Patienten nahe zu kommen, da die Koalitionsverhandlungen zu planen sind. Die Abwesenheit von Willi Brandt wird von all seinen parteiinternen Freunden und Feinden sofort genutzt, um um die vorteilhaftesten Posten zu kämpfen. Dabei werden Freundschaften geopfert, Verrat begangen, Interna an die Öffentlichkeit durchgestochen und Informationen erpresst.

Auf der anderen Seite lebt Sonja in einer WG mit mehreren Studenten. Sie ist aus dem gewalttätigen Elternhaus geflohen, da der Vater schwere psychische Störungen aus dem 2. Weltkrieg davongetragen hat und die ganze Familie tyrannisiert. Die Studentenszene beginnt sich kräftig zu radikalisieren und es ist sehr amüsant zu lesen, wie in den WGs und Kommunen um Ansichten und Deutungshoheiten gekämpft wird. Leider kommen da so profane Dinge wie Putzen und Einkaufen eher weiter hinten auf der Prioritätenliste. In der WG lebt auch der Gelegenheitsstudent Max, der als Taxifahrer jobbt und somit der politischen Klasse in Bonn ebenfalls nahekommt.

Ein Dreh- und Angelpunkt all dieser unterschiedlichen Welten ist dabei der „Rheinblick“, eine Kneipe in der Bonner Innenstadt, die von Hilde Kessel betrieben wird und hier muss die Inhaberin versuchen, sich ihre Kundschaft zu erhalten, alles mitzubekommen und doch nichts zu wissen.

Brigitte Glaser gelingt es, um die wahren Fakten und Personen der damaligen Zeit eine Menge an Kunstfiguren zu versammeln, so dass man sich die damalige Zeit sehr bunt, lebhaft und lebendig vorstellen kann. Neben der politischen Welt kommt auch das Zwischenmenschliche nicht zu kurz, denn das ist ja dann immer doch das wahre Leben. Besonderer Augenmerk liegt aber auch auf der Rolle der Frau, einerseits die Damen der gehobenen Schichten, die für ihre Gatten repräsentieren müssen und sich untereinander nicht wirklich grün sind, die alleinstehenden arbeitenden Frauen wie Hilde, die sich in der Geschäftswelt mit doppelter Kraft durchsetzen muss und die jungen Frauen, die sich nichts mehr gefallen lassen wollen, gleiche Entwicklungsmöglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen und Studenten haben wollen und ihren ganz eigenen Weg gehen.

Aus heutiger Sicht ist manches zum Lachen, vieles aber auch wirklich erschreckend bis abstoßend, gerade die politischen Ränkespiele. Leider habe ich nicht die Hoffnung, dass die politischen Geschäfte in der heutigen Zeit sauberer, fairer und weniger auf den eigenen Vorteil aus betrieben werden. Und manche Parteien scheinen auch heute noch gerade ihre erfolgreichsten Vorsitzenden mit besonderer Hingabe intern zu zerfleischen.

Wieder ein ganz gelungenes Gemälde einer interessanten Zeit, deshalb von mir 5 Sterne.