Überladener Roman

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waterlilly Avatar

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Da mir Brigitte Glasers Roman „Bühlerhöhe“ ziemlich gut gefallen hatte, war ich auf ihr neues Buch „Rheinblick“ sehr gespannt. Optisch passt es gut zum Vorgänger, auch wenn das Bild nicht recht zum Inhalt passt, denn hier steht mehr als nur eine Frau im Zentrum der Geschichte.

Auf 400, in kleiner Schrift eng beschriebenen Seiten, überfällt einen die Autorin mit einer Vielzahl von verschiedenen Handlungssträngen.

„Rheinblick“ war für mich keine einfache Lektüre, sondern ein Buch, durch das ich mich regelrecht durchbeißen musste. Jedes Mal, wenn ich den Roman in die Hand genommen habe, musste ich erstmal 10 bis 20 Seiten lesen, um wieder in die Handlung hinein zu kommen.
Mit Hilde, der Wirtin des Gasthauses Rheinblick wurde ich sogar überhaupt nicht warm. Das Buch spielt Anfang der 70er Jahre, bevor ich geboren wurde. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich mit etwas mehr politischem Hintergrundwissen einfacher liest. Persönlich fühlte ich mich in den Kapiteln aus Hildes Sicht durch die Vielzahl an Namen, Konstellationen und Intrigen überfordert.
Besser gefielen mir die Kapitel über die anderen Protagonisten.
Da ist die junge Logopädin Sonja die den Kanzler bei seiner Genesung unterstützen soll, der ewig verschuldete Student Max und die Journalistin Lotti.
Auch hier werden jedoch noch so viele Nebenthemen eingeflochten, dass ich die Geschichte als überladen empfand. Sei es der Streit mit den Eltern, die verschwundene Schwester und das Mordopfer. Allein der Handlungsstrang über die Zustände in Kinderheimen wäre zum Beispiel ein eigenes Buch wert. In „Rheinblick“ wirkt es wie ein Einhorn im Zoo und will nicht so recht zum Bonner Polittheater passen.

Die Perspektiven wechseln alle 4 bis 5 Seiten, was es zusätzlich erschwert, in die Geschichte einzutauchen.
Der Klappentext wirbt mit Sonjas Arbeit mit dem Kanzler, aber gerade diesen Teil fand ich besonders uninteressant. Vielleicht lag es daran, dass Willy Brandt unter Sprechverbot stand, aber der Bundeskanzler blieb für mich das komplette Buch über so farblos und eindimensional wie eine Pappfigur. Auch sein vollständiges Desinteresse an Therapie und Genesung wirkte befremdlich, was aber mit Sicherheit auch daran lag, dass Logopädie damals kaum bekannt war und selbst von den Krankenkassen nicht unterstützt wurde.

Meine Lieblingsfigur in „Rheinblick“ war Lotti. Die junge Journalistin brachte frischen Wind in die Geschichte. Ihr Ehrgeiz, mit dem sie sich für Gerechtigkeit stark macht ist bewundernswert und auch die Freundschaft mit Max und alles was damit zusammen hängt, lockert die Handlung auf.

Auf den letzten 100 Seiten waren ich dann endlich so gefesselt, wie ich es mir von Anfang an gewünscht hatte. Das Ende kam holterdiepolter, als wenn die Autorin ihre maximale Seitenzahl erreicht hätte und deswegen übereilt zu einem Abschluss kam.

Dieses Buch kann ich leider nur bedingt weiter empfehlen.