Fiktive Figur vor historischem Hintergrund

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Lieutenant Paula Bloom ist als Kind einer deutschen Mutter in Berlin aufgewachsen und nach einem Studium in den USA in Camp Ritchie dafür ausgebildet, als Besatzungsoffizierin in Deutschland eingesetzt zu werden. Als Tochter eines amerikanischen Geschäftsmannes lebte sie in einer Villa im Grunewald und absolvierte das Französische Gymnasium der Stadt. Ihr Auftrag in Deutschland: zurzeit der Kriegsverbrecherprozesse soll sie den österreichischen Juden Johann Kupfer verhören, der behauptet, im II. Weltkrieg ein wichtiger Spion gewesen zu sein. Dass Kupfer von einer Frau befragt wird, soll ihm schmeicheln und zu Aussagen verführen, die seiner Behauptung widersprechen könnten. Paula verfolgt eine eigene Agenda, sie will das Schicksal ihres Jugendfreunds Georg aufklären. Über dessen Verblieb gibt es widersprüchliche Informationen und Kupfer könnte über entscheidende Hinweise verfügen. Rückblenden führen zu Paulas Ankunft mit dem amerikanischen Militärtransport in Italien, zu ihrer Kindheit in Berlin und zu ihrer Flucht aus Deutschland. Zunächst rätselhafte Andeutungen wecken Neugier auf die Persönlichkeit einer verwaisten, staatenlosen Armeeangehörigen, die wie Stefan Heym und andere prominente Emigranten in Camp Ritchie in Methoden psychologischer Kriegsführung ausgebildet worden sind. U. a. wollen die amerikanischen Besatzer abgehörte Gespräche zwischen Angeklagten der Nürnberger Prozesse auswerten und benötigen dazu Muttersprachler mit exzellenten Deutschkenntnissen. Im Bloomschen Haushalt in Berlin gingen prominente Zeitgenossen aus Kultur und Politik ein und aus, so dass Paula vermutlich höchst glaubwürdig mit Kupfer Konversation betreiben konnte und dabei evtl. Widersprüche aufdecken. Für Paula Bloom erweisen sich die Befragung von Johann Kupfer wie auch Gespräche mit ihrem Kollegen Sam als Katalysator dafür, sich mit der Vergangenheit ihres Vaters in Berlin auseinanderzusetzen. Welche Geschäfte Bloom Senior in der Reichhauptstadt betrieb, dafür hat Paula sich für eine studierte Historikerin bisher bemerkenswert wenig interessiert.

Andreas Pflüger besetzt einen authentischen historischen Hintergrund zusätzlich zu Personen der Zeitgeschichte mit einer fiktiven Frauenfigur, deren Persönlichkeit ich beinahe interessanter fand als die historischen Fakten, die Pflüger im Nachwort penibel von seiner Fiktion trennt. Ob Paula sich deutsch, amerikanisch oder eher „displaced“ sieht wie Stefan Heym bei seiner Rückkehr nach Deutschland, ermöglicht deutschen Lesern einen Perspektivwechsel. Andreas Pflüger und Bodo V. Hechelhammer als Historiker regen im Nachwort darüber hinaus dazu an, den politischen und wirtschaftlichen Hintergrund für die Nürnberger Prozesse kritisch zu bewerten. Warum nur 4 Sterne? Für ein harmlos als „Roman“ vermarktetes Buch finde ich die Handlung einen Tick zu verschachtelt und die Menge an genannten prominenten Namen – ohne kommentiertes Personenverzeichnis – zu groß.