Interessantes, wichtiges Thema, aber überhaupt nicht mein Buch

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Der US-Militärgeheimdienst bildete im Camp Ritchie von 1942 bis 1945 tausende Männer und auch Frauen für den Nachrichtendienst aus. Darunter waren viele Deutsche und Österreicher wie z.B. auch Klaus Mann, Hans Habe, Georg Kreisler und Stefan Heym, die vor den Nazis in die USA geflohen waren. Aufgrund ihrer Deutschkenntnisse wurden sie u.a. für Verhöre von Kriegsgefangenen eingesetzt. Protagonistin Paula Bloom, Tochter einer deutschen Mutter und eines sehr reichen US-amerikanischen Geschäftsmannes, der gute Verbindungen zu den Nazis pflegte, absolviert ebenfalls ihre Ausbildung dort und ist erst einmal für die Zensur der Feldpost zuständig. Schon bald bekommt sie erste Aufträge als Dolmetscherin bei Verhören.

Nach Kriegsende wird sie in ein Camp bei Frankfurt a.M. geschickt. Dort soll sie unter anderem herausfinden, ob Johann Kupfer, der der USA seine Dienste anbietet, tatsächlich der bekannte Spion „Sieben“ ist, für den er sich ausgibt. Während die Nürnberger Prozesse laufen, ist man im Camp vor allem auch damit beschäftig, einflussreiche Nazis zu schützen, wenn man sie für die eigenen Zwecke gut gebrauchen kann. „Ritchie Girl“ ist eine Mischung aus Fakt und Fiktion. Persönliche Verstrickungen und Verstrickungen großer Firmen mit den Nazis, historische Fakten, militärische Operationen, Massenhinrichtungen und weitere Kriegsverbrechen sowie der Umgang der Überlebenden damit, Täter, Opfer und die Grauzone dazwischen sind alles Themen, die im Roman zu finden sind. Es geht um Doppelmoral, durch den Krieg zerstörte Familien und die Frage, wem man eigentlich noch vertrauen kann. Die unvorstellbaren Grausamkeiten des Krieges werden einmal mehr vor Augen geführt, ebenso wie die bittere Tatsache, dass viele Kriegsverbrecher unbehelligt davonkommen konnten - und das, obwohl bekannt war, was sie getan hatten. Gut fängt der Roman auch das damals gängige Frauenbild ein: Frauen sollen vor allem adrett aussehen, den Mann dadurch erfreuen und die Hausarbeit erledigen. Paula hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil sie sich als berufstätige Frau, zumal beim Militär, gegen das traditionelle Frauenbild stellt. Glücklicherweise ist einer ihrer Stärken Schlagfertigkeit, so dass es ihr meist gelingt, anmaßende Männer in ihre Schranken zu weisen.

All das wäre mehr als genug für einen spannenden und auch historisch äußerst interessanten Roman. Doch leider konnte ich mit der Umsetzung nichts anfangen. Für mich waren es zu viele Fakten, zu viel Namedropping (Albert Einstein, Charlie Chaplin, Otto Dix, Marlene Dietrich, Graham Green und viele mehr) werden einfach mal so eingestreut, ohne wirklich bedeutsam für die Geschichte zu sein. Meine Gedanken schweiften beim Lesen ständig ab, es war mir zu viel Personal ohne Tiefe, zu viel stichwortartige Information, die ich oft gar nicht richtig einordnen konnte. Die Dialoge haben mich gelangweilt in ihrem sehr gleichförmigen Ton. Auch den Protagonisten fehlte es an Substanz. Ich hatte kein lebendiges Bild vor Augen, eher eine blasse Skizze. Ich habe das Eintauchen in eine mir fremde Welt und einen Spannungsbogen vermisst. Sehr schade, dass mich der Roman mit diesem wichtigen Thema so überhaupt nicht berühren konnte.