Zeitgeschichte phantasievoll und authentisch umgesetzt - mitreißend!

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Ritchie Girl von Andreas Pflüger

Wie in seinen vorherigen Romanen ist die Protagonistin eine intelligente junge Frau.
Hier ist der rote Faden die Geschichte von Paula Bloom, die in den Irrungen der Nachkriegszeit im eroberten Deutschland zum Einsatz kommt. Ausgebildet als Ritchie Girl – in Camp Ritchie in Maryland, wo seit 1943 auch emigrierte Frauen rekrutiert wurden, um zurück nach Deutschland, bei der Nazi - Identifizierung zu helfen. So gelangt Paula zurück in ihr damaliges Heimatland und steht vor der Aufgabe, einen vermeintlichen Sowjetagenten, Johann Kupfer, zu enttarnen. Hierbei wird sie mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert und muss sich ihr stellen –

Kameradschaft, wie in Pflügers Romanen um Jenny Aaron, ist hier nicht das Hauptaugenmerk, hier spielt der Geheimdienst. Was ist wahr, wem kann man Vertrauen, welches sind die Motive des Einzelnen und kommen ans Licht - ein hochinteressanter Aspekt und sehr wandlungsfähig im Laufe der Zeitgeschichte, der Schuld auflädt – auf welcher Seite auch immer man steht. Pflüger entlarvt – durch Dialoge – humorvoll und intelligent und schafft es, den roten Faden: unbedingtes Vertrauen und Liebe bis zum Schluss zu spinnen - übrigens mit einer überraschenden Wendung und sehr spannend.
Das Wiedererkennen bedeutender Persönlichkeiten der Geschichte, die später Berühmten, wie Otto Dix, Marlene Dietrich,Charlie Chaplin, Schriftsteller wie Hemingway oder Graham Greene zum Beispiel, heben die Betroffenheit auf eine amüsante Ebene. Sie werden zu Begegnungen, Erinnerungen an Begegnungen; aus Zukunftssicht berichtet und beschrieben – und so entstanden bestens recherchierte, phantasievolle und in hohem Maße auch humorvolle Dialoge. Gerade die Dialoge und Gedanken der Protagonisten machen den Roman aus. Dialoge, die es in der Gegenwart des Geschehens so niemals geben könnte – oder doch? - das macht den unglaublichen Zauber und die Anziehung des literarischen Könnens von Andreas Pflüger aus. Kurze, mit Sinn vollgepackte Sätze, Satzfragmente, deren Inhalte lange zum Nachgrübeln und Reflektieren anregen. Der Roman ist keineswegs leichte Kost und durch die geschichtlich umfangreich recherchierten Personen und Orte, die man sich vergegenwärtigen muss, ist es teilweise auch mühsam, voranzukommen. Doch die Belohnung ist reichhaltig. Kennt man schon und ist verwöhnt von vergangenen Romanen, z.B. „Operation Rubikon“ die beste Recherche, so toppt Andreas Pflüger mit diesem großen Wurf „Ritchie Girl“ sein Können.
Ein dichter zeitgeschichtlicher Roman ganz nah am damaligen Geschehen, geschrieben mit literarischer Kunst.
„Du hast dein ganzes Leben lang diesen Roman in dir gehabt und es nicht gewusst“, kommentiert er. Andreas Pflüger, in den 1960ger Jahren aufgewachsen, konfrontiert mit einem Großvater, der Nazi war, arbeitet in diesem Roman seine und somit deutsche Vergangenheit auf ,indem er authentisch beschreibt und aufdeckt.
Die Sonderseiten des Suhrkamp Verlages sind sehr aufschlussreich und komplementieren das Gelesene. Mit Fotografien des Nachkriegsdeutschlands , einem „Kaleidoskop der Zeit“ wird man bereichert mit den im Roman auftretenen Personen in echten und geschichtlichen Begebenheiten.
So ein komplexes sowie fiktives Werk mit großartigem literarischem Können ist einzigartig auf diese Weise und ist Lehrbuch und beeindruckende Literatur in einem.