Jenseits des American Dream

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kleinfriedelchen Avatar

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Buell, Pennsylvania. Eine ehemalige Hochburg der Stahlindustrie, die den Menschen seit ihrem Untergang nichts mehr zu bieten hat als Massenarbeitslosigkeit, umherfliegenden Rost, der die Wäsche verfärbt und verbitterte Menschen, die sich selbst aufgegeben haben. In dieser Stadt wachsen der junge Isaac und Billy Poe auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Isaac, ein hochintelligenter, doch schmächtiger Zwanzigjähriger, entschließt sich, endlich seinem Zuhause in dem Provinzkaff zu entfliehen. Seit seine Mutter vor fünf Jahren Selbstmord beging und seine ältere Schwester kurz darauf zum Studieren nach Yale ging, war Isaac allein mit seinem mürrischen, an den Rollstuhl gefesselten Vater. Nun will er abhauen, nach Kalifornien, um dort Astrophysik zu studieren und dem verhassten Zuhause zu entfliehen, in dem sein Vater eh nie ein gutes Wort für ihn übrig hat.
Billy, ehemaliger Footballstar an der Schule, hat es versäumt, sich für die Unis zu bewerben, die ihn als begabten Sportler mit Kusshand genommen hätten. So lässt er sich einfach treiben, trinkt Alkohol, haust im Trailer seiner Mutter und seine Arbeit im Eisenwarenladen hat er auch gerade verloren. Als ihn sein Freund da bittet, ihn nach Kalifornien zu begleiten, willigt er ein.

Doch gleich zu Beginn ihrer Reise spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu: bei einem Streit mit Obdachlosen um eine trockene Unterkunft für die Nacht wirft Isaac mit einer schweren Kugel nach einem der Männer und tötet ihn. Bevor sie richtig begreifen, was passiert ist, wird Billy, bereits vorbestraft und für sein gewalttätiges Wesen bekannt, unschuldig verhaftet und kommt ins Gefängnis, wo er auf seinen Prozess warten muss. Isaac dagegen flieht Richtung Süden…

 „Rost“ ist die Schilderung vieler Einzelschicksale, die zusammen das Bild einer verfallenen amerikanischen Kleinstadt zeichnen. Isaacs Schwester Lee beispielsweise hat es zwar geschafft, dem tristen Leben in Buell zu entkommen, quält sich jedoch mit Schuldgefühlen, den kleinen Bruder allein mit dem pflegebedürftigen Vater zurückgelassen zu haben. Billys Mutter Grace hadert mit ihrem Leben im Wohntrailer, wollte sie doch schon vor Jahren dieses Nest von einem Ort verlassen. Als unterbezahlte Näherin und vom Exmann ständig ausgenutzt, verliert sie schließlich fast ihren Lebenswillen, als ihr Sohn ins Gefängnis kommt. Kann ihre immer mal wieder aufflackernde intime Beziehung zum Sheriff Billy vielleicht weiterhelfen?

Man kann es schon erahnen, es dominiert der trübsinnige Grundton der Erzählung. Armut, sozialer Abstieg, Kriminalität, Schuld und verpasste Chancen bilden die Themen des Buches. 
Die Geschichte verläuft dabei eher langsam und schleppend, gleich dem Leben der Protagonisten. Und doch kann man sich dem Buch nicht entziehen. Der Fokus des Autors liegt hierbei nicht auf einer komplexen Handlung und rasanten Geschehnissen, sondern auf den unterschiedlichen Charakteren. Die sind einzigartig, sehr ehrlich und glaubwürdig geschildert. Sie werden nicht idealisiert, sondern mit all ihren Fehlern dargestellt, ihre Handlungen sind jederzeit nachvollziehbar.
Einzig die Schreibweise mag für manche anfangs gewöhnungsbedürftig sein, da gerade das erste Kapitel aus Isaacs Sicht geschildert wird, der sich durch sprunghafte, beinahe wirr anmutende Gedanken auszeichnet. Hat man das erste Kapitel allerdings hinter sich gebracht, wird man das Buch nicht mehr weglegen wollen.

Der Autor, Philipp Meyer, wird mit so bekannten Autoren wie Hemingway, Steinbeck und Salinger in einer Reihe genannt und kann diesem Vergleich meiner Meinung nach durchaus standhalten. Kritisch und desillusionierend beschreibt er das Schicksal vieler amerikanischer Städte und der darin lebenden Menschen. Ein sozialkritischer Roman über die andere, dunkle Seite von Amerika, jenseits des American Dream.