Philipp Meyer: Rost

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Natürlich ist das ein Abgesang auf den American Dream, die Vorstellung, dass jede/r alles erreichen kann, wenn er es nur will. Oder ist es das doch nicht? Vielleicht ja, denn die ehemals vom Stahl lebende Region in Pennsylvania ist am Boden, Tausende von Arbeitsplätzen sind längst verloren und es wird auch kein Wunder geschehen, damit die Region sich innerhalb der näheren Zukunft erholt. Doch die Protagonisten in Philipp Meyers  Roman „Rost“ haben alle ihre Chance gehabt, alle hätten sie den Schritt in ein unbeschwerteres Leben tun können.

 

Da ist zum einen Issak English, klein und schmächtig, aber hochbegabt - er hätte seiner Schwester Lee nach Yale folgen können, doch der Wunsch, endlich die Anerkennung des tyrannischen, auf ihn angewiesenen, pflegebedürftigen Vaters zu erringen, hält ihn bei diesem fest.
Lee hat zwar den Sprung geschafft, sie ist verheiratet, studiert nebenbei Jura und die angeheiratete Familie ist glücklich über ihr Dasein in der Familie. Doch der Mann an ihrer Seite ist farblos, die Ehe mit ihm eher aus Vernunftgründen geschlossen.

Ihrer beider Mutter hat fünf Jahre zuvor Selbstmord begangen, bis heute lässt der Gedanke an sie Isaak nicht los.

 

Und dann ist da Billy Poe, der Freund Isaaks und Lees seit Kindertagen. Der Star des Schulfootballteams, die meisten Colleges/Unis des Landes hätten ihn mit offenen Armen aufgenommen - doch Poe ist unentschlossen, fühlt sich bedrängt, kann sich nicht entscheiden - und daher läuft bereits mit Anfang zwanzig das Leben an ihm vorbei. Mit seiner Mutter Grace lebt er zusammen in einem Trailer, er hat den Ruf, ein Schläger zu sein und seit er auch noch seinen Job in einer Eisenwarenhandlung verloren hat, geht es mit ihm immer weiter bergab.

Auch Grace hat ihre Träume längst begraben, ihr Ehemann Virgil hat sie seit langem verlassen, auch wenn es derzeit so scheint, als könne er wieder einen Platz in ihrem Leben einnehmen. Das Angebot ihres Freundes, Chief Bud Harris, doch noch eine Ausbildung zu machen und woanders ganz neu anzufangen, hat sie vor einigen Jahren  ausgeschlagen.

 

Als der Leser in die Geschichte einsteigt, ist es noch nicht ganz Frühling in Pennsylvania, an diesem späten Nachmittag liegt Schnee in der Luft. Isaac English hat seinem Vater, dem Alten, wie er ihn nennt, 4000.- US$ gestohlen und sich auf und davon gemacht. Viele Gedanken gehen ihm durch den Kopf, während er zu Fuß durch die ehemalige Stahlregion wandert, die sich die Natur langsam wieder erobert.

 

Isaac möchte sich nach Kalifornien durchschlagen, allerdings am liebsten nicht allein, sondern mit seinem alten Freund Billy Poe. Als Isaac bei ihm ankommt, ist dieser eigentlich nicht geneigt, mitzukommen, entschließt sich jedoch, den Freund zumindest ein Stück weit zu begleiten. Das Verhältnis der beiden ist eine Mischung aus echter Freundschaft und "man kennt sich eben schon lang". Poe fragt sich gelegentlich, wieso er eigentlich mit dem kleinen Isaac befreundet ist, der Leser kommt zu dem Schluss, dass Poe Isaacs Intelligenz anerkennt und auch insgeheim bewundert. Außerdem wäre Poe während seiner Jugendzeit gern an Isaacs Schwester rangekommen und wollte die Freundschaft zu Isaac dafür nutzen. Vor einigen Monaten hat Poe Isaac das Leben gerettet, nachdem dieser im Eis eingebrochen war.

 

Als sie abends Rast machen, versuchen drei Landstreicher, ihnen den gemütlichen Platz am Feuer in einer alten Lagerhalle streitig zu machen. Isaac hat ein unbehagliches Gefühl und möchte den Ort lieber verlassen. Er gibt vor, austreten zu müssen und nimmt seinem Rucksack mit nach draußen. Poe jedoch, im Gefühl der Überlegenheit, bleibt sitzen und erwägt, die drei Männer zu verprügeln, als er selbst urplötzlich zum Opfer wird. Einer der Männer setzt ihm ein Messer an die Kehle - verletzt ihn auch leicht - und fasst ihm an die Genitalien.

 

Isaac, der draußen wartet, bemerkt den ausbrechenden Tumult. Er sieht sich nach einer Waffe um, findet eine Stahlkugel, nimmt sie und stürmt zurück in die Halle. Ohne groß darüber nachzudenken, wirft er die Kugel Otto, einem der Bedränger Poes, an den Kopf. Otto fällt um und bereits zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass er nicht wieder aufstehen wird. Isaac und Poe nehmen die Beine in die Hand und flüchten, allerdings bleibt Poes Football-Jacke am Tatort zurück. Die beiden trennen sich, jeder geht zu sich nach Hause. Nun hat Isaac ausgeglichen, auch er hat den Freund gerettet.

 

Es kommt, wie es kommen muss, Poe - mit seiner Vorgeschichte - wird der Tat beschuldigt, die er nicht begangen hat. Und während sich Isaak, nichts davon ahnend, allein auf den Weg nach Kalifornien macht, schweigt Poe und versucht, in der Haft zu überleben.

 

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Lange ist es her, dass ich ein Buch in einem Rutsch an einem Tag gelesen habe, bei diesem Buch hier war es endlich mal wieder soweit.

 

Philipp Meyer schafft es durch einen gelungenen Schreibstil, der den Leser direkt an den Gedankengängen der Protagonisten teilhaben lässt, die Atmosphäre derart intensiv zu vermitteln, dass die Handlung wie ein Film vor dem inneren Auge des Lesers abläuft. Sobald man sich an den Stil gewöhnt hat, wird man einfach davongetragen. Man entwickelt eine unglaubliche Sympathie für den Großteil der Handelnden und wünscht ihnen so sehr, dass sie sich für den „richtigen Weg“ entscheiden.

Der Titel „Rost“, oder eigentlich „Amerikanischer Rost“ passt perfekt zur Gesamtsituation, die verrostete Industriebrache ebenso wie auf die in ihrer Situation erstarrten, angerosteten Protagonisten. Und doch ist dieses Buch nicht nur „typisch amerikanisch“, genau diese Situation trifft gerade heute in der globalen Wirtschaftskrise den Nerv der Zeit, überall auf der Welt könnte Buell in Fayette County, Pennsylvania mitsamt seinen Bewohnern sein.

 

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_Entweder man lebt, oder man ist konsequent. (Erich Kästner)_