Bewegender und tragischer Roman gegen das Vergessen

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lynas_lesezeit Avatar

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"Rote Kreuze" von Sasha Filipenko ist ein faszinierendes - teils bewegendes, teils tragisches - Zeugnis einer realen Zeit und einer fiktiven Freundschaft.

Der Autor selbst sagt: "Ich finde es gut, wenn ein Buch nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern auch eine Geschichte hat."
Genau dies macht für mich eine Besonderheit dieses Romans aus und gibt eine große Tiefe. Denn es wird nicht nur die zarte Freundschaft zwischen Tatjana und Alexander erzählt. Es werden auch viele historische Hintergründe aus der Stalin - Zeit, der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg vermittelt. In die fiktive Handlung des Romans fließen geschickt verwoben immer wieder reale Begebenheiten und Personen ein. Es werden Originaltexte in die Erzählung aufgenommen, die ein trauriges Bild von sinnloser Menschenverachtung zeigen.

Der Leser wird gleich von Beginn an von Tatjana gefangengenommen. Auch wenn sie an Alzheimer leidet, ist sie immer noch sehr schlagfertig und zielstrebig. Sie lässt Alexander mit seiner anfänglichen Gleichgültigkeit und Abweisung nicht durchkommen. Und so entspannt sich zwischen den beiden ein Dialog bei dem überwiegend Tatjana aus ihrem langen Leben erzählt. Die Erzählung ist sehr facettenreich, amüsant, rührend, spannend, tragisch, nüchtern, emotional. Dennoch hat mir etwas gefehlt. Ich lese sehr gern Geschichten, bei denen sich eine Freundschaft trotz vieler Jahre Altersunterschied anbahnt. Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir gewünscht, dass neben dem wichtigen Zeitzeugnis auch der Freundschaft zwischen Tatjana und Alexander Raum gegeben wird. Dieser Aspekt tritt jedoch deutlich in den Hintergrund.

Ungeschönt und direkt wird dagegen vieles über die neuere Geschichte Russlands vermittelt. Dabei übt der Autor deutliche Kritik durch seine Romanfigur: "Erst später, im Lager, wurde mir bewusst, dass dieses ganze System, diese riesige Maschinerie, auf komplexbeladenen Nullen [...] beruht. Von sich aus stellen diese Kreaturen überhaupt nichts dar, aber in einem Staat aus Ihresgleichen gewinnen die an Bedeutung." Genau diese offenen Worte sind wichtig, um nicht zu vergessen und dadurch hoffentlich zu erreichen, dass es nie wieder so weit kommt.

"Rote Kreuze" von Sasha Filipenko ist ein wichtiger Roman gegen das Vergessen. Kein leichter Wohlfühlroman, aber durch die Tiefgründigkeit umso wertvoller. Klare Leseempfehlung für Leser, die es schätzen, wenn ein Roman nicht nur unterhält, sondern auch nachdenklich stimmt.