Zutiefst bewegend

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So hat Alexander sich den Einzug in seine neue Wohnung nicht vorgestellt. Nach dem Tod seiner Frau und der ungewöhnlichen Geburt seiner Tochter wollte er nur noch alleine sein und zurückgezogen leben. Nun aber entdeckt er rote Kreuze an seiner Wohnungstür, die er entfernen will und damit den Unmut seiner Nachbarin auf sich zieht. Sie leidet an einer beginnenden Demenz und braucht die roten Kreuze als Wegweiser, um wieder in ihre Wohnung zu finden. Nach dieser Erklärung nimmt sie Alexander mit in ihre Wohnung und beginnt, ihm aus ihrem Leben zu erzählen. Tatjana Alexejewena ist über neunzig Jahre alt und hat ein leidvolles Leben unter der russischen Machtherrschaft hinter sich. Ihr Mann kam in in Straflager und ihre kleine Tochter wurde ihr weggenommen. Auch sie selbst kam später in ein Straflager, ohne daß man ihr hätte etwas vorwerfen können. Ihren Mann und ihre Tochter hat sie nie wiedergesehen. Nach und nach nähern Alexander und Tatjana sich an und in immer wieder neuen Gesprächen erzählen sie einander von ihrer Trauer und ihrem Schmerz.

Ich empfinde ein tiefes Mitgefühl mit Alexander, der den Mittelpunkt seines Lebens verloren hat, aber er ist jung und vielleicht gelingt es ihm, sich ein neues Leben aufzubauen. Mit Tajana möchte ich weinen. Sie ist eine alte Frau, der nach und nach die Erinnerungen verloren gehen. Eine Hoffnung auf eine Wendung zum Guten besteht in ihrem Leben nicht mehr. Sie mußte die ganze Härte der russischen Gewaltherrschaft erleben und mit ansehen, wie ihre kleine Tochter auf einen Lastwagen verladen wurde und sie sie nie mehr wiedersah. Wie hält ein Mensch das aus?

Der Autor schreibt in seinem Buch über ein düsteres Kapitel der russischen Geschichte, in der die Menschen in ständiger Angst vor Verfolgung, Verhaftung und Abschiebung in ein Strafgefangenenlager lebten. Dies ist ein wichtiges und gut geschriebenes Buch gegen das Vergessen russischer Gewaltherrschaft, aber auch ein Buch über die Freundschaft zweier Menschen, die sich viel zu erzählen haben.