Berührender Roman über Freundschaft und Begehren in der Vorwendezeit

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merkurina Avatar

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Dieses Buch hat mich unmittelbar, von der ersten Seite an, in seinen Sog gezogen. Das geht mir längst nicht immer so, oft dauert es lange, bis ich warm werde mit dem neuen literarischen Kosmos, den ja jedes Werk eröffnet.
Hier befand ich mich gleich im Wechselspiel zwischen Budapest und (Ost-)Berlin, zwischen den Zeiten noch vor der Wende und sehr viel später dann, als Márta zurückblickt auf die Wirren damals.
Es ist ein Leichtes ihr, der Ich-Erzählerin, zu folgen in langen Rückblenden und einer auch nicht einfachen Gegenwart. Der Stil von Nikoletta Kiss hat mich ganz und gar gefesselt.
Die geschilderte Welt ist mir gar nicht so fremd gewesen, ich bin alt genug, um ebenfalls in den 80ern jung gewesen zu sein ... eine Zeit, in der auch ich tatsächlich lange Briefe geschrieben und erhalten habe, heute wahrscheinlich kaum mehr denkbar... Das Warten darauf, das Hasten zum Briefkasten, ach!
Und ich war als Westdeutsche auch bereits vor der Wende in der DDR. Die wirklichen Gefahren, die im Buch auch erwähnt werden, die Sehnsucht und das Risiko bei freiem Reden und Schreiben, das habe ich nur am Rande erlebt, nicht in dieser Intensität. Es ist eher erstaunlich, wie glimpflich es dann hier doch noch ausgeht, aber die Angst und Sorge sind spürbar.
Dass auch einige Schauplätze in Wien eingefangen werden, wo es zu einer krisenhaften Wende kommt, freut mich. Denn die Autorin ist eine Meisterin im Einfangen der Atmosphäre.
Ein sehr lesenswertes Buch über die Freundschaft zwischen Frauen, die Ausweglosigkeiten des Begehrens, aber auch über Reife und Reflexion. Melancholisch und versöhnlich. Und auch ein Buch über die Jugend im ausgehenden Sozialismus.