Selbstfindung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
rebeccawinter Avatar

Von

Der Roman „Rückkehr nach Budapest“ von Nikoletta Kiss wurde vom Insel-Verlag als gebundenes Buch herausgebracht. Der Schutzumschlag zeigt die Fotographie zweier junger Frauen, sitzend vor einer Häuserzeile. Da das Thema des Romans die Freundschaft zwischen den Cousinen Marta und Theresa ist, passt die Gestaltung sehr gut. Auch dass es ein Foto ist, keine Zeichnung, und so auf den Realbezug hinweist.
Angesiedelt in den späten 80er, vor der Grenzöffnung in Ungarn und dem Mauerfall in der DDR spielt sich die Schlüsselhandlung in beiden Ländern ab. Trotzdem zu diesem Zeitpunkt beide noch sozialistische Staaten waren, gab es deutliche Unterschiede: Trotz aller auch hier vorhandenen Einschränkungen und Kontrollen war Ungarn liberaler und aus wirtschaftlichen Gründen dem Westen näher. Entsprechend war gerade Budapest damals schon eine Stadt annähernd an westliche Metropolen. Dies äußerte sich auch in größerer geistiger Freiheit, z.B. durch den Verkauf von internationaler Literatur und Zeitschriften. Auch wenn es eine intellektuelle Reformbewegung gab, so war dies ein großer Gegensatz zu Ost-Berlin. Die graue, überdimensionierte Repräsentationsarchitektur, war eher furchteinflößend. Das Warenangebot dürftig, die politische Linie hart und unnachgiebig. Widerstand war lebensgefährlich.
Auch die beiden Cousinen Marta und Theresa sind obgleich verwandt sehr unterschiedlich. Die extrovertierte, selbstbewusste Theresa stellt die zurückhaltende Marta oft in den Schatten. Doch beide scheinen mit der Konstellation zufrieden zu sein. Bis der angehende Schriftsteller Konstantin auftaucht.
Es gibt im Roman viele Wechsel in der Zeit, die mich zuerst etwas verwirrten. Marta erzählt aus dem Jetzt und blickt zurück in die 80er. Langsam ergibt sich ein Bild der Geschehnisse, der Leser wird in die Entwicklung von Marta integriert.
Mir gefällt, dass die Selbstfindung von Marta keinem Klischee entspricht und nachvollziehbar ist. Alle Personen der Handlung sind authentisch dargestellt, die damalige Atmosphäre wird spürbar. Vielleicht wäre den traumatischen Erfahrungen der „Umerziehung“ in der DDR noch etwas mehr Raum zu widmen, aber es ist eben kein politischer Roman.
Die Geschichte liest sich leicht, es gibt keine ideologischen Eingaben oder politischen Statements. Die Gefühle und Handlungen sind nachvollziehbar bei einem durchaus unvorhersehbaren Plot.
Mir hat das Buch sehr gefallen und ich denke, es kann Anlass zu lebhaften Gesprächen sein.