Beeindruckender Roman

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rflieder Avatar

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Laut Klappentext sind die großen Themen der französischen Autorin Helène Gestern „… Fotografiegeschichte und das autobiographische Schreiben“. Das merkt man auf jeder Seite des Buchs. Mit kraftvoller, bildhafter Sprache beschreibt sie die Landschaft und das raue manchmal menschenfeindliche Klima am Ärmelkanal wie auch die Beziehungen der Menschen zueinander.
Yann de Kérambrun, mit seinem Privatleben und seiner täglichen Arbeit unzufriedener Geschichtsprofessor an der Sorbonne in Paris, lässt sich nach dem Tod seines Vaters für ein Jahr beurlauben und zieht in seine geerbte große Villa in St. Malo ein. Dort entdeckt er Unmengen an Kartons mit Dokumenten seines Urgroßvaters Octave de Kérambrun. Obwohl er sich mit seinem Vater überworfen hatte, weil er nicht in vierter Generation in die von Octave 1904 gegründete berühmte Reederei de Kérambrun eingestiegen war, weicht er von seinem eigentlichen Vorhaben ab und stürzt sich mit der dem Historiker eigenen Akribie in diese Dokumente. Er findet Geschäftsunterlagen, persönliche Aufzeichnungen seines Urgroßvaters, Briefe, Fotos und kommt so seiner Familie posthum immer näher.
Helène Gestern beschreibt aus Yanns Sicht die Unfähigkeit der Männer, ihre Gefühle zu zeigen wie auch die Probleme der Frauen und Kinder, mit dieser von ihnen so erlebten Kälte zurecht zu kommen. Geschickt fügt sie Episoden und Briefausschnitte von damals ein, die ebenso wie die von ihr beschriebenen und kommentierten Fotos ein Sittenbild dieser Zeit darstellen. Yann deckt Geheimnisse seiner Familie auf und bewältigt mit seiner Arbeit sein Trauma, von seinem Vater nicht geliebt worden zu sein. Gelungen ist der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in der er versucht, seinem Sohn die Freiheiten zu lassen, die er und seine Vorfahren vermissen mussten, auch wenn es ihm schwer fällt.
Eine zentrale Rolle spielt in dem Roman die St. Malo vorgelagerte auf dem schönen Cover abgebildete Insel Cézembre, für Yann eine Art Sehnsuchtsort, obwohl sie in zwei Weltkriegen fast vollständig zerstört wurde.
Hilfreich sind die beiden im Anhang abgedruckten Stammbäume der Familien de Kérambrun und de Saint-Croix, eines Geschäftspartners des Urgroßvaters, die ich mehrfach nachschlagen musste, um bei der Vielzahl an Personen unterschiedlicher Generationen mit ungewohnten bretonischen Namen und Kosenamen den Durchblick zu behalten.
Auch wenn das Buch besonders auf den ersten 100 Seiten einige Längen aufweist, bin ich der Meinung, dass Helène Gestern mit „Rückkehr nach St. Malo“ ein beeindruckender Roman gelungen ist.