Leider die falsche Wahl

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Da lag nun also mein Wunschbuch vor mir, über 500 Seiten stark, ummantelt von einem wunderschön gestalteten Umschlag in den Farben des Meeres. "Rückkehr nach St. Malo" ließ Vorfreude bei mir aufkommen auf viele unterhaltsame Lesestunden, beim Eintauchen in eine spannende historische Familiengeschichte.

Was ich stattdessen zunächst Seite um Seite vorfand, war eine in weiten Teilen langatmig und mühsam zu lesende Mischung aus Sachbuch und Romanhandlung. Die Hauptfigur Yann kehrt nach dem Tod des Vaters in die Familienvilla in St. Malo zurück, verlässt damit den Lehrstuhl an der Pariser Sorbonne, den er als Historiker innehatte. Yann entdeckt viele archivarische Unterlagen seines Urgroßvaters Octave, seinerzeit Gründer einer erfolgreichen Reederei und sorgfältiger Chronist mittels zahlreicher Handelsbücher. Der Urenkel beginnt dort mit einer akribischen Recherche in zumeist geschäftlichen Dokumenten, liest auch private Briefe und sichtet Familienfotos. Hélène Gestern lässt ihren Protagonisten diese Schriftstücke ausführlichst wiedergeben bzw. beschreiben.

Solche Archivzeugnisse der auch eigenen Geschichte können wohl manches Familiengeheimnis enthüllen und die Leser mitnehmen auf eine abwechslungsreiche Reise in die Vergangenheit, wenn sich die Zutaten zu einem spannenden Roman zusammenfügen.

Doch hier? Lange Zeit fühlte ich mich überhaupt nicht berührt oder gefesselt von der Erzählweise. Obwohl Yann als Ich-Erzähler aus seiner Perspektive beschreibt, denkt, handelt, fühlt, bot er sich nicht als Identifikationsfigur an - zu distanziert, detailliert, ja fast zu geschliffen wirkte die Erzählweise auf mich. Keine Frage, Hélène Gestern weiß brillant zu formulieren, allein die Schilderungen zum rauen bretonischen Meer und zur Landschaft sind unglaublich abwechslungsreich. Nur fand ich diese, immer und immer wieder aufgegriffen, auf Dauer einfach übertrieben, wie auch die ausufernden Erläuterungen zum Schiffbau ermüdeten.

Inhaltlich haben mich die jeweils zwei bis drei Seiten langen Abschnitte in Kursivschrift vor manches Rätsel gestellt: Aus welcher Perspektive wird hier erzählt? Handelt es sich um die Fantasien des Protagonisten? Könnte es so oder auch anders gewesen sein? Soll das Geheimnisvolle der vorgelagerten Insel Cézembre hervorgehoben und entschlüsselt werden?

Nun, jedenfalls machte mich das umfangreiche Buch in vielerlei Hinsicht ratlos, und etwa bei Seite 400 angekommen, war ich kurz davor, es zuzuklappen und wegzulegen. Zu meinem Erstaunen nahm die Geschichte jedoch noch Fahrt auf, wurde die Handlung lebendiger, und eine gewisse Spannung ließ mich weiterlesen. Yann nimmt wieder Kontakt zu lange vernachlässigten Verwandten auf, die lebendigeren Passagen mit wörtlicher Rede gewinnen Raum gegenüber trockener Beschreibung, die Beziehung zu Rebecca, die er in der Hafenstadt kennen- und schätzen gelernt hat, wird enger. Zudem entwickelte sich der Roman fast noch zu einem spannenden Krimi.

Fazit: Insgesamt gesehen jedoch war "Rückkehr nach St. Malo" für mich die falsche Wahl. Leider.