Eine langweilige russisch-ukrainische Geschichte

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federfee Avatar

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Es gibt Bücher, die einen verärgert zurücklassen - dies ist so eines. Dabei fand ich die Leseprobe, die ersten Seiten gut, weil das Kritisch-Politische im Vordergrund steht, das Sprachproblem angedeutet wird - russisch sprechende Ukrainer - und die Risse, die durch Familien gehen, sehr interessante Themen, über die ich gerne mehr erfahren wollte.

Auch das Coverbild - ein irgendwie negativ guckender Fisch in Zeitungspapier und der Titel ‘Russische Spezialität’ - erschienen mir verlockend, weil wahrscheinlich mehrdeutig. Doch meine Begeisterung hat sich schnell gelegt.

Die Mutter des Autors wurde zwar in Sibirien geboren, wuchs aber in Moldawien auf und lebte seit ihrer Volljährigkeit in Kyjiw. Das könnte man wohl als ihre Heimat bezeichnen und erst recht die ihres dort geborenen Sohnes. Russisch ist die Muttersprache, wie es bei vielen Ukrainern der Fall war oder vielleicht noch ist. Das ist aber noch lange kein Grund, sich gänzlich auf die russische Propaganda einzulassen, wie es die Mutter Kapitelman tut, die seit längerem mit der ganzen Familie in Leipzig lebt und dort einen Laden mit russischen und ukrainischen Produkten betreibt, das Magasin.

‘Außer ihrer Sprache und ihrem sprechenden Fernseher verbindet meine Mutter also fast nichts mit dem russischen Staat’ (9), aber ihr absoluter Glaube an die von Russland verbreitete Propaganda droht einen Keil zwischen sie und ihren Sohn Dmitrij zu treiben, denn dieser ist voll auf der Seite der Ukrainer. Dennoch liebt er seine russische Mutter-Sprache. ‘Ich trage eine Sprache wie ein Verbrechen in mir und liebe sie doch, bei aller Schuld.’ (13)

Hatte ich nun gehofft oder erwartet, dass es um genau diese Problematik geht, dass man als Leser Erhellendes erfährt, wurde ich enttäuscht.

Zwar gab es auf den ersten Seiten viele kritische Anmerkungen - wie politisch die Wetterberichte sind (8), ‘die russisch fernsehvölkische Mutter’ (7), die den Ukrainern die Schuld gibt - doch dann flacht das Buch ab und beschreibt seitenweise, was im Magasin - übrigens durchweg in kyrillischen Buchstaben geschrieben - verkauft wird, wie die Lagerhaltung ist, die Einkaufsfahrten - für die Leser alles sehr langweilig und nichtssagend. Die eigentlichen Probleme mit der Mutter und der Sprache werden zu wenig behandelt. Warum lebt die Mutter in dieser Russischen Welt? (Hier hätte man ruhig den allseits bekannten Begriff ‘russki mir’ benutzen dürfen.) Ansonsten ist gerade die Sprache des Buches ein großer Kritikpunkt, den ich unten genauer erkläre.

Ein weiterer inhaltlicher Punkt ist nach meiner Meinung unzureichend dargestellt: die Reise nach Kyjiw. Mir ist nicht ganz klar geworden, WARUM er dorthin fährt. Sie nimmt nur höchstens ein Drittel des Buches ein und gerade das wäre für die Leser interessant gewesen: der Bericht eines Menschen, der dort gewesen ist und alles mit eigenen Augen gesehen hat. Er übernachtet im Hotel, muss dort in den Bunker und beschreibt Kyjiw als ‘ Schatten einer Metropole’ - ‘Selbst über dem doch immer so lebenslustigen Kreschatik-Boulevard liegt bleierne Stillschwere.’ (122). Die Menschen versuchen, eine gewisse Normalität zu leben, so weit das überhaupt möglich ist. auch hier hätte ich mir eine eindringlichere Schilderung gewünscht, vor allem als er mit Freunden Butscha besucht - was er fast wieder als normal beschreibt - aber auch Borodjanka, wo er die zerstörten Hochhäuser mit eigenen Augen sieht. Für ihn mag das eindrucksvoll und bedrückend sein, aber für den Leser ist es nicht eindringlich genug beschrieben. Da geben die Fotos im Internet z.B. doch mehr her.

Auch hier ist wieder das merkwürdige Verhalten der Mutter zu beobachten, die sich anscheinend keine Sorgen um ihn macht, aber Salo (was ist das?) und Gewürze mitgebracht haben möchte. Erst zum Schluss, als Dmitrij wieder zu Hause in Leipzig ist, äußert die Mutter ihre Besorgnis und vor allem ihre Freude, dass er das Russische nicht verleugnet. Es gibt noch trotz allem noch Liebe zwischen ihr und dem Sohn. Schön, dass es ein versöhnliches Ende gibt, aber viel mitgenommen habe ich von diesem Buch nicht.

Die Sprache
Neben inhaltlichen Mängeln ist die Sprache mein zweiter dicker Kritikpunkt. Unvollständige Sätze und Wortwiederholungen mag man noch als Stilmittel tolerieren, aber was meinen Lesefluss massiv gestört hat, waren die vielen Worte in kyrillischen Buchstaben, manches sogar ohne Übersetzung ebenso wie russische Wörter, deren Bedeutung nicht erklärt wurde.

Ich mag eine innovative, kreative Sprache, aber hier gab es viele Wörter, die mich massiv gestört haben:

‘als Yashka rotzenstraff raustorkelt’ (21) - ‘der sich eine ordentliche Plauze anpelmenit' hat (79) - ‘verwahrheitet’ (128) - ‘ein Eis schlackern’ (116)
Reicht nicht einfach ‘sagte’: Wir kichern über den Text… Die Möwen um uns herum kichern mit…(78) - Mama kyijw-kichert (80) - ‘ätzt Oleg’ (107) - singsangt eine der Tänzerinnen (126) - ‘... zuckert nun auch Zoja zärtlich’ (139)
Muss man modern mit der Zeit gehen? Oder sollte man vielleicht doch mehr auf die Sprache achten? ‘Ich bin megasauer.’ 107 - er whatsapp noch 118 - fancy orange Töpfe 120

So, das reicht, dicke!

Fazit
Ich habe mich geärgert: über unnötig ausgegebene 23,- Euro und über verlorene Lebenszeit. Dazu gehört natürlich auch die Zeitinvestition in diese Rezension. Aber wenn ich schon ein Buch, das auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht, so schlecht bewerte, will ich es wenigstens begründet tun. Keine Leseempfehlung!