Zwischen Heimat und Identität

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Zwischen Heimat, Politik und Identität werden Beziehung auf die Probe gestellt : „Russische Spezialitäten“ von Dmitrij Kapitelman

In “Russische Spezialitäten” bearbeitet Dmitrij Kapitelman wirklich außerordentlich humorvoll aber dennoch mit einer angemessenen Tiefgründigkeit die komplexen Themen Herkunft, Identität, Zugehörigkeit, Sprache und die leider so zerstörerische Kraft der Politik und wie schnell sie einst enge Bindungen spalten kann. Es ist eine Geschichte, die wahnsinnig viel Hoffnung in sich trägt, aber auch nachdenklich stimmt. Es geht um die Komplexität kultureller Verortung innerhalb einer auf vielen Ebenen zerrissenen Welt.

Im Mittelpunkt steht die Familie des Ich-Erzählers, die in Leipzig das “Magazin” einen Laden für russische Spezialitäten führt. So viel Ironie, denn was hier “russisch” sein soll, stammt oft aus der Ukraine, aus Kasachstan oder anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion. Der Laden wird so zum Sinnbild einer hybriden Identität, die auch für seine Besitzerfamilie gilt. Diese Mehrdeutigkeit zieht sich durch das gesamte Buch.
Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine verdichten sich die Konflikte – nicht nur geopolitisch, sondern vor allem im engsten Familien- und Freundeskreis. Während die Mutter, geprägt von russischen Medien, Putins Politik unterstützt, fühlt sich der Sohn seines Geburtslandes, der Ukraine, verbunden und lehnt die russische Aggression vehement ab. Die politische Spaltung dringt wie ein Keil in die Familie und macht deutlich, wie ideologische Gräben selbst die engsten Bindungen auf eine harte Probe stellen können.

Die Sprache, die der Autor hier entstehen lässt, ist ein eigenes Kunstwerk. Er jongliert mit Worten, erschafft skurrile, aber treffende Wortneuschöpfungen und verleiht dem Roman dadurch eine Leichtigkeit, die den ernsten Themen eine fast schon tröstliche Komponente hinzufügt. Seine humorvolle Erzählweise wirkt nie respektlos, sondern offenbart einen feinen Sinn für die Absurditäten des Alltags und die tiefsitzenden Widersprüche migrantischer Identitäten. Sprache wird hier nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als Identitätsanker spürbar – sie schafft Zugehörigkeit, kann aber auch zur Barriere werden und dann bleibt die Frage: Wohin gehöre ich wirklich?
Die Dialoge sind oft bissig und pointiert, gleichzeitig aber von einer melancholischen Grundstimmung getragen, die den inneren Zwiespalt der Figuren spürbar macht. Hier zeigt sich Kapitelmans schriftstellerische Meisterschaft: Er balanciert gekonnt zwischen Komik und Tragik, Leichtigkeit und Ernst.

Mit der Familiengeschichte als Basis blickt der Roman kritisch auf die gesellschaftlichen Spannungen, die durch Migration, kulturelle Identität und (politische) Polarisierung weiter verschärft werden. Er zeigt, wie viel schwerer es ist, sich auf eine Seite zu stellen, wenn man zwischen den Kulturen aufgewachsen ist. Der Erzähler selbst fühlt sich in keiner Kultur wirklich zu Hause. Diese ambivalente Verortung macht das Buch besonders authentisch – es spricht nicht nur jene an, die selbst einen Migrationshintergrund haben, sondern öffnet auch LeserInnen ohne diese Erfahrung die Augen für die Komplexität transkultureller Identitäten.

“Russische Spezialitäten” ist weit mehr als ein Familienroman – es ist ein literarisches Kaleidoskop, das Identität, Zugehörigkeit und die zerstörerische Kraft politischer Spaltungen in all ihren Nuancen beleuchtet. Kapitelmans spielerischer Umgang mit Sprache verleiht dem Buch eine Leichtigkeit, die den ernsten Themen den Schrecken nimmt, ohne sie zu trivialisieren. Die Lektüre hinterlässt ein Gefühl von Nachdenklichkeit, gemischt mit der Erkenntnis, dass Identität nie eindimensional ist, sondern immer aus vielen, oft widersprüchlichen Facetten besteht.

Es ist ein Buch, das bewegt, zum Lachen bringt und zugleich ins Mark trifft – eine absolute Leseempfehlung für alle, die offen dafür sind, sich mit den Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit und den Herausforderungen kultureller Verortung auseinanderzusetzen.