Wunderbarer Frauenroman!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marionhh Avatar

Von

Die Berufsschullehrerin Lehrerin Charlotte kehrt mit ihrer Tochter Miriam verfrüht aus dem Rügen-Urlaub zurück und erwischt ihren Mann Phillip in flagranti bei dem x-ten Seitensprung. Sie hat die Nase voll und verlässt ihn. Beim Misten der alten Sachen fällt ihr ein altes Mobiltelefon in die Hände, darauf eine alte Nachricht ihrer Schwester Doro, mit der sie aufgrund eines Vorfalls seit elf Jahren keinen Kontakt mehr hat, und sie beschließt, diese ausfindig zu machen. Sie beginnt bei Doros damaligem Freund, dem Musiker Ben, und dies ist der Start einer wahren Odyssee über diverse Ex-Freunde Doros an die verschiedensten Stätten, zu den verschiedensten Menschen und exotischen Tieren und zu etlichen falschen Doros. Für Charlotte ist es nicht nur die Suche nach ihrer Schwester, sondern auch die Suche nach dem Sinn des (ihres) Lebens, und am Ende findet sie nicht nur die richtige Doro, sondern auch eine neue Liebe und vor allem sich selbst.

Ein wunderbarer Roman über zwei sehr unterschiedliche Frauen, die ein schlimmer Verrat entzweit hat. In warmen Worten und sehr humorvoll erzählt die Autorin Charlottes Reise und ihre innere Aufgewühltheit. Die Sprache ist sehr gut verständlich und flüssig, aber dennoch nicht simpel. Oftmals muss der Leser schmunzeln oder sogar kichern über die Vergleiche und Kommentare, die die Autorin ihre Protagonisten denken oder sagen lässt. Köstlich allein die Beschreibung der Schülerinnen von Charlotte und ihre verzweifelten Versuche, ihnen Literatur nahe zu bringen. Der Schreibstil ist je nach Situation angemessen gefühlvoll, herzhaft, literarisch und immer bildhaft, die Geschichte liest sich sehr gut „herunter“. Wenn auch der „Vorfall“ lange im Dunkeln bleibt, so ahnt der Leser doch, was die Schwestern damals entzweit hat. Dies tut der Lesefreude aber keinen Abbruch, im Gegenteil, es bleibt spannend und es passiert immer wieder etwas Neues, schon allein aufgrund der Tatsache, dass Charlotte immer neue Menschen und Orte kennenlernt.

Charlotte, die etwas dröge Lehrerin, ist durchaus ein sympathischer Charakter, zuverlässig, hübsch, klug, treu, vielleicht etwas zu brav und angepasst. Sie verwandelt sich im Laufe ihrer Reise in eine emanzipierte Frau, die sich nicht mehr von anderen sagen lässt, wie sie ihr Leben zu leben hat und was das Beste für sie ist. Das findet sie selbst heraus, und ihre Wandlung und ihr zunehmendes Selbstbewusstsein manifestiert sich in ihrem Äußeren und ihren Handlungen. War ihr der Lehrerjob bis dahin noch verhasst, scheut sie nicht mehr vor dem Ungewöhnlichen und baut sogar zu ihren sonst eher gelangweilten Schülerinnen ein herzliches und persönliches Verhältnis auf. Auch die Schülerinnen werden von Charlottes neu geweckter Lebensfreude angesteckt und entwickeln sich von einem unmotivierten Haufen zu Individuen, die tiefsinnige Gedanken hervorbringen.

Männer spielen natürlich eine wesentliche Rolle in Charlottes Leben, führen sie doch die Ex-Freunde Doros immer ein Stückchen näher an das Wesen ihrer Schwester heran. Zunächst jedoch ist da Phillip, ihr Ex, zusammen mit seinen Eltern Charlottes „Gegenspieler“, von deren Einflüssen sie sich immer mehr löst, der aber der Auslöser ist für den Beginn der Suche. Der alternde Casanova ändert sich nicht, er ist und bleibt ein treuloser Frauenheld. Herrlich beschrieben werden die teilweise recht skurrilen Ex-Freunde, darunter ein mit Stimmungsmusik gegen das System kämpfender Rockmusiker, ein esoterischer Campingplatzbetreiber, ein suizidgefährdeter dichtender Gärtner, ein Tierarzt mit Hang zu außergewöhnlichen Tieren und noch andere, und jeder trägt etwas dazu bei, dass Charlotte Doro nicht nur körperlich, sondern auch seelisch näher kommt. Am Ende stellt sie fest, dass auch Doro sich verändert hat, dass die Schwestern letztendlich gar nicht so verschieden sind und sich immer gegenseitig bewundert haben für das, was sie sind. Charlottes Liebe zu ihrer Schwester ist dann auch stärker als die erfahrene Demütigung, und sie erkennt, dass ihre schlechte Ehe mit Phillip auch ein bisschen ihre eigene Schuld war, denn sie war zu sehr Opfer und hat weder gegen ihn noch gegen seine Eltern jemals den Mund aufgemacht.

So bekommt denn jeder am Ende, was er verdient, und der Schluss lässt keine Fragen offen. Ein etwas vager Charakter ist einzig Charlottes Tochter Miriam, ein geradezu unglaublich problemloses Kind, das nicht nur auf Reisen pflegeleicht ist, sondern anscheinend auch die Trennung der Eltern gut verkraftet, die neue Liebe ihrer Mutter voll und ganz akzeptiert und sogar die Entwicklungen am Ende ohne größeren Schaden übersteht. Sie bleibt alles in allem etwas farblos, man muss aber dazu sagen, dass mit einem komplizierteren Typ der ganze Trip nicht möglich und ein Quengelkind auf Dauer eher nervig gewesen wäre, und es geht ja schließlich um die Selbstfindung ihrer Mutter und deren Suche nach der Schwester und nicht um die Beziehung zur Tochter. Insofern passt alles!

Fazit: Ein wunderschöner, gefühlvoller und humorvoller Roman über zwei doch nicht so ungleiche Schwestern, die sich selbst und wieder zueinander finden. Zugegeben, ein Roman eher für Frauen, aber er lohnt das Lesen und beschert schöne Stunden bester Unterhaltung!!