Hin- und hergerissen

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ada2011 Avatar

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Wie fange ich an? Es sollte ja immer mit dem Positiven begonnen werden.
Deshalb so: Samuel Finzi ist ein exzellenter Erzähler. Kurzweilig und intelligent ist Sprache und Satzbildung. Die Geschichten fesseln, ob sie einem gefallen oder nicht.
Und da bin ich auch schon bei dem, was mir an diesem Buch sehr sauer aufgestoßen ist. Samuel Finzi ist auch ein sehr guter und bekannter Schauspieler. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mit dem Namen erst etwas anfangen konnte, als ich sein Bild gesehen habe. Nun weiß ich allerdings für alle Zeit, wer der Schauspieler Finzi ist.
Samuel Finzi ist 1966 in Bulgarien geboren als Sohn eines Künstlerehepaares. Ich bin 1971 in der DDR geboren, also, was die Erfahrungen mit dem sozialistischen System angeht, sind wir nicht so weit auseinander. In den Ansichten schon. Finzi fehlte es an nichts, nach damaligen Werteverständnis, aber seine Meinung über sein Leben im damaligen Bulgarien ist mir nicht verständlich, alles war grau, alles war ideologisch geprägt - man gewinnt aus vielen Beschreibungen den Eindruck, er wäre im Knast groß geworden. Und das eben schon als Kind und das kann ich absolut nicht nachvollziehen.
Den absoluten Vogel schießt Finzi aber ab, als er schreibt, dass Lenin möglicherweise an Syphilis gestorben sei. Da diese Behauptung für mich absolut neu war, musste ich erst einmal im Internet recherchieren und fand diese Behauptung dann lediglich von der damaligen SS verbreitet, die natürlich die Idee einer Hirnsyphilis aufnahm und für ihre Zwecke nutzte. Aber Hirnsyphilis ist nicht zwingend nur sexuell übertragbar, ein Kontakt hätte ausreichen können, also kein Beweis für unsteten Lebenswandel. Bewiesen ist das allerdings überhaupt nicht und da stößt es mir sehr sauer auf, dass alles, was Finzi zu einem der intelligentesten Köpfe der Weltgeschichte zu sagen hat, dies eben Geschriebene ist. Und wenn ich mir dann noch Finzis jüdische Abstammung nehme und im Zusammenhang mit der Behauptung der SS damals sehe, dann schüttelt es mich und macht mir den Herrn Finzi nicht symphatischer.
Alles in allem - das Lesen lohnt sich für alle, die nicht in sozialistischen Ländern groß geworden sind und ihre Vorurteile weiter bestätigen wollen. Wer, wie ich, eine glückliche Kindheit verbracht hat, sei gewarnt - es ist kein Gute-Laune- Buch, auch wenn Herr Finzi durchaus amüsant zu berichten weiß.