Kindheit und Jugend in Bulgarien

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leukam Avatar

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Samuel Finzi, auf den großen deutschsprachigen Bühnen wie auch in Film und Fernsehen zu Hause, hat nun seinen ersten autobiographischen Roman vorgelegt.
Schon das Cover weckt Aufmerksamkeit: ein Photo des jungen Samuel beim Kopfstand inmitten einer Freundesclique. Allerdings steht das Bild Kopf, als trüge er die Welt.
Samuel, genannt Sancho, geboren 1966 in Plodiv, Bulgarien, wuchs in einer jüdischen Künstlerfamilie auf. Der Vater ist ein bekannter Theaterschauspieler, die Mutter eine renommierte Pianistin. Das künstlerische Milieu prägte von klein auf sein Leben. Schauspieler, Musiker und Theatermacher verkehrten im Haus. Theateraufführungen, Konzerte, Museumsbesuche und das Kino gehörten zum Alltag. Liebevoll und voller Dankbarkeit schreibt Samuel Finzi über seine Eltern und Großeltern.
Er erzählt von Ferien am Meer, von einem Parisaufenthalt bei der Verwandtschaft, von frühen Verliebtheiten und vom Schulalltag. Weil die Mutter ihn für unterfordert hält, meldet sie ihn in einer Experimentellen Schule an. Die steht unter dem besonderen Schutz der Kultusministerin, der Genossin Schiwkowa, Tochter von Todor Schiwkow, dem bulgarischen Staatsoberhaupt. Dass sie Jahre später unter mysteriösen Umständen umkommt - eventuell war es ein Auftragsmord - erfahren wir auch im Buch.
Überhaupt, und das ist für mich von großem Interesse, beschreibt Samuel Finzi an vielen Beispielen, was es heißt, in einem sozialistischen Staat aufzuwachsen. Schon früh ist bei ihm die Sehnsucht nach dem Westen, nach der Freiheit vorhanden. Die Erfahrungen bei seiner zweijährigen Wehrpflicht bestätigen ihn darin. Es wir ihm zusehends zu eng in diesem Land.
Ende der 1980er Jahre werden die Reisebedingungen gelockert, so dass Finzi seine in Bulgarien begonnene Schauspielausbildung im Westen weiterführen kann, erst in Paris, dann in Berlin.
Das Buch endet im Dezember 1989 , der dreiundzwanzigjährige Samuel Finzi landet in Berlin- Schönefeld.
Das Buch liest sich sehr unterhaltsam. Gespickt mit zahlreichen Anekdoten, voller Witz und Ironie schreibt Finzi über seine Kindheit und Jugend; uneitel, doch gerne auf eine Pointe hinzielend. Seine genauen Beobachtungen sorgen für ein anschauliches Bild vom real existierenden Sozialismus in Bulgarien. Das Künstlermilieu, in dem sich Finzi bewegt, ist ein angenehmes Kontrastprogramm dazu. Es ist freilich kein gefährliches Dissidentenleben, das Nonkonforme zeigt sich eher in kleinen Dingen und im Denken.
Mit leichter Hand begibt man sich mit diesem Roman auf eine Zeitreise in das Bulgarien der 1970er und 80er Jahre, lernt dabei einen sympathischen Künstler näher kennen und erfährt viel Wissenswertes über ein Land, das nicht so sehr in unserem Fokus liegt.
Vielleicht erfahren wir bald, wie es weiterging im Leben von Samuel Finzi.