Geplatzte Träume

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murksy Avatar

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Was war es nicht für eine schöne Idee? Wir geben den Ärmsten etwas ab, speisen sie und beruhigen unser Gewissen. Zudem können Wohltätige und Politiker werbewirksam in die Kameras lächeln, während sie die nächste Tafel eröffnen. In Schamland räumt Stefan Selke relativ sachlich mit dieser herablassenden Gutbürgerlichkeit ab. Es kommen Betroffene zu Wort, die ihre Sicht der Dinge schildern. Sie beschreiben ihren Weg in die Armut, die Scham, mit der sie zum ersten Mal die Tafel nutzten. Ob diese Geschichten alle zu hundert Prozent wahr sind, hinterfragt der Autor nicht. Das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist alleine die Tatsache, dass in unserem hochgepriesenen Wohlfahrtsstaat mehr Armut herrscht, als zu Nachkriegszeiten. Die heutige Armut ist ein Makel, den man mit den Tafeln wegwischen will. Doch dies ändert nichts am Problem. Die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich, endlose Diskussionen über Mindestlöhne in Zeiten, die es einem Hoeness erlauben, sich für eine lächerliche Summe aus dem Steuersumpf zu ziehen, sind das Problem. Es gibt keine Gerechtigkeit, kein faires Miteinander. Die Tafeln sollen beruhigen. Wer etwas zu essen bekommt, wird sich ungern diese letzte Möglichkeit nehmen lassen. Und die Spender können sich sonnen und sagen, wir tun doch Gutes! Das ist wie das berühmte Behandeln der Symptome, ohne nach der Ursache der Krankheit zu suchen. Natürlich bietet auch das Buch keine neuen Lösungsvorschläge. Und natürlich wird man irgendwann müde, immer die ähnlichen Schicksale zu lesen. Doch wenn das Buch anregt, nachzudenken, das System hinterfragt wird, dann erfüllt es seinen Zweck. Ob die große Leserschaft erreicht wird, ist zu bezweifeln. Wer schaut schon gerne in den Spiegel und sieht seine eigene habgierige, selbstzufriedene Fratze? Bleibt zu hoffen, dass zumindest ein paar Wenige aufgerüttelt werden. Armenspeise ist nicht die Lösung aus der Armut. Es ist eine Hilfe, das will ich nicht bezweifeln. Aber solange sich nicht etwas Grundlegendes verändert, werden auch die nächsten Tafeln eröffnet, mit lächelnden Politikern, die anschließend ins Restaurant gehen und sich gut gelaunt den Magen füllen.