Abschlussband als Agententhriller mit Ziel Odessa

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Judith Kepler ist bei einer Berliner Gebäudereinigungsfirma auf Tatortreinigung spezialisiert. In „Zeugin der Toten“ (2011),dem ersten Band der Reihe, wurde sie damit konfrontiert, dass sie Kind eines Stasi-Agenten war. Beim Versuch der Familie, in den Westen überzulaufen, wird vor über 30 Jahren Judiths Mutter erschossen, sie selbst landet in Sassnitz in einem staatlichen Kinderheim. I Ihr Vater verunglückt angeblich kurz darauf tödlich. Während Judith in der Firma ihren schwer erkrankten Chef vertritt, werden die Ereignisse dieser Operation Sassnitz noch einmal aufgewühlt, als ein Buch über die Opfer des Kalten Krieges veröffentlicht wird. Judith weiß, dass ihr Vater lebt, weil er sie bereits einmal frech als Komplizin für seine Geschäfte in Anspruch nehmen wollte. Er nennt sich inzwischen Larcan, arbeitete für den KGB und handelt im Auftrag Russlands mit Waffen.

Isa Kellermann arbeitet für die Spionageabwehr der Bundesrepublik und setzt damit die Familientradition fort; denn schon ihr Vater arbeitete für den BND. Während ihre Mutter im Sterben liegt, bereitet Isa einen Einsatz in Odessa/Ukraine vor, bei dem eine Waffenlieferung abgefangen werden und damit eine Verbindung zu deutschen Rechtsextremen offengelegt werden soll. Isa besteht darauf, selbst vor Ort zu sein. Sehr ungewöhnlich in ihrer Position, begründet sie ihren Einsatzplan damit, sie müsse vor Ort sein, weil ihr V-Mann in Odessa aktiv sein wird. Für einen Führungsoffizier gehört Storytelling zum täglichen Geschäft. Isa erhält damit normalerweise die Legenden ihrer Agenten aufrecht. In einem dicht gesponnenen Netz aus konkurrierenden Geheimdiensten, aus Landes- und Bundesbehörden, die sich jeder den Erfolg gern ans eigene Revers heften würden, verfolgt Isa jedoch in Odessa ein sehr persönliches Ziel.

Während im Prolog Bastide Larcan sich in Odessa offenbar den Dank eines reichen und einflussreichen Gauners verdienen kann, setzen sich die beteiligten Gruppen zur Übergabe der Waffenlieferung in Bewegung. Judith will Rache an ihrem Vater üben für ein Leben, das allein auf Lügen aufgebaut war, und muss sich hier mitten in ihrem eigenen Schachzug fragen, ob sie evtl. anderen als Marionette dient.

Der erste Judith-Kepler-Roman wurde noch als Krimi vermarktet, das letzte Band der Reihe kommt als Spionage-Thriller entsprechend verwickelt. An den Handlungsverlauf des ersten Bandes konnte ich mich nicht mehr vollständig erinnern. Eingeschobene Details aus Judiths Leben brachten die Erinnerung allmählich wieder zurück.

Judith Kepler erlebe ich als faszinierende Figur mit einem für den Kalten Krieg zwischen Ost und West nicht ungewöhnlichen Schicksal. Elisabeth Herrmann legt einige Sorgfalt selbst in die Ausarbeitung der Nebenfiguren ihrer Romane. So stellt sie Judith mit Tabea ein - wie sie selbst - verwaistes Kind zur Seite oder lässt Judith in einem Café nach einer Schießerei klar Schiff machen und sich so die lebenslange Treue des Besitzers verdienen. Die Hafenstadt Odessa als Schauplatz mit ihren Katakomben unter der Altstadt hat mich gefesselt, wie von einem Schauplatz-Fan zu erwarten war. Sorgfältige Recherche ist hier schon die halbe Miete. Für Judith scheint es nicht der letzte Aufenthalt in der Stadt gewesen zu sein …

Wer Judith Kepler aus den Vorgängerbänden kennt, wird schnell in die Handlung hinein kommen. Kein Problem sehe ich darin, diesen Band zuerst zu lesen und später in den vorhergehenden Bänden ausführlich zu ergründen, was Judith Kepler antreibt.