Von der Kunst, ins Leben zurückzufinden

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naraya Avatar

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Luisa ist gerade mal 16 Jahre alt, als ihr kleiner Bruder Fabian an Krebs erkrankt und innerhalb weniger Monate stirbt. Nach seinem Tod ist nichts mehr, wie es einmal war. Luisas Familie ist geschrumpft, ist nur noch ein Rest, der zurückgeblieben ist. Die Eltern sind von ihrer Trauer völlig überwältigt. Und weil sie die Erinnerung nicht mehr ertragen können, ziehen sie von ihrem Haus in Hamburg in eine Mietwohnung in Berlin um. Zurück lassen sie alles, was Fabian gehört hat - seine Poster, seine Spielsachen, sein Fahrrad und dennoch bleibt eine nicht zu füllende Lücke. Luisa fühlt sich von ihren Eltern verlassen. Berlin ist ihr verhasst und anstatt ihren kleinen Bruder zu vergessen, wünscht sie sich, ihre Trauer ausdrücken zu dürfen, darüber sprechen zu können - doch ihre Eltern haben genug mit sich selbst zu tun. Und so beschließt Luisa an ihrem 17. Geburtag, ihrem Leben mit einem Sprung vom Grunewaldturm ein Ende zu setzen. In letzter Sekunde wird sie von einem seltsamen Jungen gerettet: Thursen. Luisa beschreibt ihn als einen "Mangaprinzen" mit langem schwarzen Mantel und krähengrauen Haaren - anders, als alle anderen Jungen, die sie kennt. Er nimmt ihr das Versprechen ab, am Leben zu bleiben und verschwindet dann spurlos.

Luisa hat nun endlich wieder etwas, worauf sie sich konzentrieren kann: die Suche nach Thursen und dem schwarzen Hund, dem sie immer wieder im Wald begegnet ist. Doch als sie schließlich beide findet, macht sie eine schreckliche Entdeckung. Thursen ist ein Werwolf. Gemeinsam mit seinen Freunden - seinem Rudel - lebt er verborgen vor der Welt im Grunewald und Luisa muss sich nun entscheiden, ob sie mit einem Werwolf an ihrer Seite leben kann, ob sie "das Tier in ihm" akzeptieren kann. Erst nach und nach findet sie heraus, was das Werwolfdasein für ihre Liebe zueinander bedeutet und sie beginnt zum ersten Mal seit dem Tod ihres Bruders wieder um etwas zu kämpfen. Einen Kampf um ihre Liebe, um den Menschen in Thursen und gegen das Vergessen. Denn der Tag, an dem Thursen sich nicht mehr wird zurückverwandeln können, rückt näher und näher...

Mir gefiel sofort die Idee eines Werwolfromanes, der in Deutschland spielt. Und ich finde, Nora Melling hat dieses Thema sehr gut umgesetzt. Die Idee ihrer Werwölfe ist eine (für mich) ganz neue: Thursens Rudel besteht aus Menschen, die in ihrem Leben schlimme Dinge erlebt haben, die nicht mehr wussten, wie sie damit noch weiter leben sollten. All diese Sorgen, die Trauer, die Ängste verlieren sie, wenn sie sich in einen Wolf verwandeln. Und nach und nach vergessen sie alles: ihren Namen, ihre Herkunft und was ihnen Schlimmes widerfahren ist. Die Autorin schildert all diese Gefühle authentisch. Jeder, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, wird sich in Luisas Worten und Gedanken wiederfinden. In dem verzweifelten jungen Mädchen, das versucht, ins Leben zurückzufinden. Im ersten Moment wurde ich allerdings an die Handlung von Maggie Stiefvaters "Nach dem Sommer" erinnert. Da ich den Roman aber nicht gelesen haben, muss jemand anderes beurteilen, inwieweit beide Reihen sich ähneln.

Auch der Konflikt, in den Luisa und Thursen geraten, ist gut dargestellt. Thursen will unbedingt vergessen, dennoch möchte er auch Luisa nicht verlieren. Luisa hingegen will unbedingt, dass Thursen ein Mensch bleibt, weiß aber auf der anderen Seite nicht, ob sie das Recht hat, das von ihm zu verlangen. Schließlich ist nicht klar, was Thursens Geheimnis ist. Was ihm widerfahren ist, dass auch er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Wie der Konflikt gelöst wird, dazu möchte ich nichts verraten. Nur so viel: das Ende ist in einigen Punkten offen, in anderen nicht. Ich bin gespannt, wie die Autorin die Reihe anlegen wird. Vielleicht in Black Dagger-Manier, so dass in jedem Band ein anderes Mitgllied des Rudels im Mittelpunkt steht? Oder werden wir im nächsten Band erfahren, was aus Luisa und Thursen wird?

Sprachlich gesehen hat mich der Roman überrascht. Er hebt sich deutlich von dem ab, was man in diesem Genre normalerweise zu Lesen bekommt. "Schattenblüte" ist voller wunderschöner, poetischer Sätze, die man sich liebsten notieren möchte. Sätze, bei denen man sich dabei erwischt, wie man nickt und denkt "Ja, genauso, ist das, so fühlt es sich an!" Ich kann also nur sagen: Vielen Dank, Frau Melling, für diesen Roman!