Invasive Arten
Kristina Hauffs dritter Roman führt uns in ein idyllisches Tal mitten im Schwarzwald. Hier lebt Lisa mit ihrem Mann Simon und der beinahe erwachsenen Tochter. Und hier ist sie auch aufgewachsen, als Kind einer Hoteliersfamilie. Doch das Hotel „ Zum alten Forsthaus“ hat seine besten Tage längst hinter sich. So vieles ist marode und gehörte dringend renoviert; auch erfüllt das Haus längst nicht die Standards, die heutige Touristen erwarten. Nur noch die alt gewordenen Stammgäste verirren sich hierher. Lisa, die neben ihrem Job im örtlichen Tourismusbüro die Buchhaltung des Hotels erledigt, würde gerne neu durchstarten. Doch Vater Carl will das Zepter nicht aus der Hand geben. Außerdem hofft er immer noch darauf, dass Sohn Felix seine Nachfolge antritt.
Eines Tages quartiert sich Daniela, eine einsame Fremde, im Hotel ein. Sie macht einen hilfesuchenden Eindruck und Lisa nimmt sich ihrer an. Dank Lisas guter Vernetzung im Ort findet Daniela bald eine Wohnung und Anschluss im Chor. Und als Carl Hilfe benötigt im Hotel, da bietet sich die Neuangekommene an und macht sich schnell unentbehrlich.
Doch etwas stimmt nicht mit ihr. Was kann man ihr tatsächlich glauben? Nicht alles, was sie erzählt, erweist sich als wahr. Und warum wendet sich plötzlich die beste Freundin von Lisa ab? Weshalb verhält sich Simon auf einmal höchst sonderbar?
Ganz subtil spinnt die fremde Frau ihre Intrigen, spielt die Menschen gegeneinander aus und manipuliert sie.
Lisas bisher scheinbar gefestigte Welt gerät ins Wanken und sie muss alles auf den Prüfstand stellen.
Durch die Geschehnisse werden die Brüche und Risse, die schon zuvor in den Beziehungen bestanden haben, offensichtlich.
Simon steckt mitten in einer Sinnkrise. Es nervt ihn immer mehr, dass Lisa ständig im väterlichen Hotel aushilft und sich kaum für seine Arbeit interessiert. Und in seinem Beruf als Förster macht ihm der Klimawandel zu schaffen.
Aber es ist nicht nur Daniela allein, die die Menschen in ihrem Umfeld manipuliert und für ihre eigenen Interessen benützt. Auch Vater Carl weiß, wen er für seine Zwecke ausbeuten kann. Lisas Pflichtbewusstsein und ihre Hoffnung auf väterliche Anerkennung sorgen dafür, dass sie immer sofort herbeieilt, wenn er sie braucht. Und auch auf die Liebe und Unterstützung seiner Lebensgefährtin Margaret kann er vertrauen. Sie managt das ganze Hotel, trotzdem bekennt er sich in der Öffentlichkeit, als verheirateter Mann, nicht zu ihr.
Spannung und Tiefe bekommt der Roman durch die Vielfalt der Perspektiven. Außer der Hauptfigur Lisa bekommt man auch die Sichtweisen von Simon, Carl und Margaret zu lesen. Nur Daniela wird von außen betrachtet, wobei sich jeder sein eigenes Bild von ihr macht.
Der Roman entwickelt gleich einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Anfänglich irritiert, ist man bald entsetzt, wie perfide die Manipulationen hier ablaufen. Auch wenn man früh ahnt, aus welcher Richtung die Bedrohung kommt, so fragt man sich doch, welchen Plan die Fremde verfolgt.
So wie der Titel schon auf das Bedrohliche verweist, das in eine vermeintliche Idylle eindringt, findet Kristina Hauff ein weiteres starkes Bild, das diesen Eindruck verstärkt. Simon beobachtet in seinem Wald einen Schakal, ein Tier, das normalerweise nicht im Schwarzwald heimisch ist. Durch den Klimawandel dringen verstärkt invasive Arten ein, verdrängen heimische Tiere und Gewächse und verändern so unsere gewohnte Lebenswelt.
Mit Daniela ist eine gewissermaßen „ invasive Art“ ins „ schattengrüne Tal“ eingedrungen und die Bewohner dort müssen ihr gewohntes Leben neu überdenken und sich verändern. Lebenslügen werden aufgedeckt, Geheimnisse kommen ans Licht,
Der Roman überzeugt nicht nur mit psychologischer Spannung, sondern auch mit Atmosphäre. Stimmungsvolle Landschaftsbilder lassen den Schwarzwald in all seinen Schattierungen lebendig werden.
Nach dem für mich enttäuschenden „ In blaukalter Tiefe“ konnte die Autorin hier an das Niveau ihres Erstlings herankommen.
„ Schattengrünes Tal“ ist ein fesselnder Unterhaltungsroman, den ich gerne empfehle.