Schleichend, nah und unheimlich real

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Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt so langsam, aber eindringlich in seinen Bann gezogen hat wie „Schattengrünes Tal“ von Kristina Hauff. Es war kein lautes Wow nach den ersten Seiten, sondern eher dieses Gefühl, dass sich etwas anbahnt, das man nicht benennen kann, aber spürt. Und genau das liebe ich an Geschichten, wenn sie sich nicht aufdrängen, sondern still unter die Haut kriechen.
Lisa war für mich sofort greifbar, verständlich und nahbar. Sie ist eine Frau, die still mitarbeitet, Verantwortung übernimmt, sich für andere aufopfert, aber nie wirklich im Mittelpunkt steht. Ich habe mich an vielen Stellen in ihr wiedergefunden. Mich hat dieses Gefühl bei ihr, alles am Laufen halten zu müssen, aber trotzdem übersehen zu werden wirklich berührt. Vor allem ging mir das in der Beziehung zu ihrem Vater so, der ihr zwar vertraut, sie aber nie ganz ernst nimmt. Und dann ist da Simon, ihr Mann, der sich mehr und mehr entzieht, in Gedanken und später auch emotional. Auch das kennt man vielleicht, wenn sich der Mensch neben einem langsam entfernt, ohne dass man es gleich merkt.
Dann kommt Daniela und alles kippt.
Anfangs fand ich sie sogar spannend, diese Daniela, die plötzlich da ist, im Hotel bleibt, mit allen gut klarzukommen scheint. Ich dachte, vielleicht tut so jemand Lisa sogar gut. Aber das hat sich schnell geändert. Ich hatte ständig ein mulmiges Gefühl beim Lesen. Wie Daniela sich in Lisas Leben schiebt, bei ihrem Vater einschmeichelt, sogar Simons Nähe sucht. Das war so geschickt geschrieben, dass ich manchmal selbst nicht wusste, ob ich mir das nur einbilde. Diese Manipulation geschieht so leise, so unterschwellig, dass man als Leserin genauso in Zweifel gerät wie Lisa selbst. Und das ist das Großartige an diesem Buch.
Kristina Hauff hat es geschafft, mich mit einer sehr ruhigen, klaren Sprache komplett in diese Welt zu ziehen. Ich konnte das Hotel richtig vor mir sehen, wie es beschrieben wurde. Ein bisschen heruntergekommen und voller Erinnerungen. Der Schwarzwald mit seiner Düsternis, den Nebeln, den stillen Wegen, perfekt für die Art Geschichte, die hier erzählt wird.
Was mir besonders gefallen hat, war die Mehrstimmigkeit. Die Kapitel aus der Sicht von Lisa, Carl, Margret und Simon geben dem Ganzen eine Bandbreite, die es noch eindringlicher macht.
Für mich ist „Schattengrünes Tal“ kein klassischer Spannungsroman. Es ist ein psychologisches Kammerspiel, da verstehe ich Petra Schulte (emotion), wenn sie die Autorin als „Meisterin des psychologischen Kammerspiels“ bezeichnet. Es ist eines, das sich in einen hineinbohrt und lange bleibt.
Eine klare Empfehlung für alle, die Geschichten mögen, die zwischen den Zeilen wirken. Und die sich nicht scheuen, auch mal unangenehm nah heranzukommen. Es war mein erstes Buch von Kristina Hauff, aber sicher nicht das letzte.