Tiefe Schatten, flache Handlung

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nightingowl Avatar

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"Schattegrünes Tal" ist der erste Roman, den ich von Kristina Hauff gelesen habe. Das Setting und die unheimliche Grundstimmung, die sich durch das Hotel, die Gegend und über die Kapitel hinweg zieht, hatten mich zunächst sehr überzeugt. Leider gefiel mir das Buch im Leseverlauf immer weniger…

Das Cover ist sehr ästhetisch – obwohl da ein anderes Tier besser zur Handlung gepasst hätte. Der tannengrüne Einband passt dagegen umso mehr! Das erste Viertel von „Schattengrünes Tal“ hat mir zunächst noch gut gefallen. Der Einstieg ist zwar etwas langatmig, hatte mich aber nicht verloren und ermöglicht einen guten Spannungsaufbau. Die Stimmung ist von Anfang an etwas getrübt, ohne dass die Protagonistin Lisa oder die Lesenden den Auslöser dieses mulmigen Gefühls sofort ausfindig machen könnten. Der Generationskonflikt zwischen Lisa und ihrem Vater Carl, der das Hotel leitet und zu stur ist, nötige Erneuerungen für das alte Haus durchzusetzen, ist ebenfalls ein spannender Aspekt. Durchaus eine gute Basis der „Meisterin des psychologischen Kammerspiels“, wie ein Rezension die Autorin betitelte.
Was mir außerdem gut gefallen hat: Das Setting im fiktiven Ort Herzogsbronn im Schwarzwald, wofür die Autorin ausgiebige Recherche vor Ort betrieben hat. Die Beschreibungen der Flora und Fauna liefern schöne Bilder der Natur, auch das in die Jahre gekommene Hotel von Lisas Eltern und ihre Kindheitserinnerungen in den Räumen hatte ich bildlich vor Augen. Ich hätte mir noch einen größeren Fokus auf die Thematik Umwelt gewünscht, welcher insbesondere in den POV-Kapiteln von Simon, Lisas Ehemann und ausgebildeter Förster, angerissen wurde.
Genau daran habe ich mich allerdings auch gestört. Zum einen am Aufbau: Das Buch ist in drei Teile und sehr viele kleine POV-Kapitel aus der Sicht von insgesamt vier Personen gesplittet. Vier verschiedene Perspektiven waren für meinen Geschmack zu viel, es war irgendwann etwas anstrengend, alle drei Seiten die Perspektive zu wechseln. Und zum anderen: Am Ende des Buches empfand ich eine ausgesprochen große Abneigung gegen Simon, der Charakter ist für mich fast durchweg unsympathisch, trotz POV-Kapitel konnte ich ihn und sein Handeln zuletzt nicht komplett nachvollziehen. Er das Abziehbild des unzufriedenen, verheirateten, mittelalten Mannes, welchem die Fähigkeit zu kommunizieren fehlt und der gern seiner Frau die Schuld für alles Mögliche in die Schuhe schiebt.
Insgesamt befürchte ich, dass ich einfach nicht der Zielgruppe des Romans entspreche. Ich habe mich sehr an der Darstellung von Daniela gestört, die durchweg sowohl dem Stereotyp der femme fatale, also der verführerischen, aber für den begehrenden Mann verhängnisvollen und meist manipulativen Frau entspricht, als auch Elemente einer Mary Sue enthält: Ein einseitiger weiblicher Charakter, welcher sofort von allen geliebt wird. Nicht nur in Kapiteln, in denen aus der Sicht eines Mannes berichtet wird und somit ein Mann auf die Welt schaut, sondern generell bedient diese Figur das Phänomen des male gaze: Das aktive Schauen in Kunst und Kultur ist explizit männlich und das passive Angeschaut-Werden explizit weiblich konnotiert, weibliche Figuren werden so ausstaffiert, dass sie der männlichen Fantasie und damit einem männlichen Blick entsprechen. Auch Frauen haben diesen männlichen Blick internalisiert und können ihn übernehmen.
Das führte für mich beim Lesen dazu, dass mir die Entwicklung der Handlung und Danielas Darstellung immer klischeehafter und zu überzogen vorkam. Mehrere Szenen arten dabei so übertrieben aus, dass ich kaum glauben konnte, dass der Roman tatsächlich von einer Frau geschrieben wurde. Die sich allmählich aufbauende Spannung vom Anfang des Buchs mündet in einer alten Beziehungsfehde. Das „psychologische Kammerspiel“ besteht letztendlich aus einer Nebenbuhlerschaft zweier Frauen um einen unzufriedenen Mann in der Midlife-Crisis. Für mich zu vorhersehbar und ein langweiliger Ausgang.

Leider wird ab der Hälfte des Buchs auch der Schreibstil teilweise eintönig, der Roman enthält Wortwiederholungen und falsch benutzte Sprichwörter, aufgrund dessen mir das Weiterlesen immer schwerer fiel. Letztendlich empfand ich den Roman eher als durchschnittlichen „Tatort“ und vergebe nur 2 von 5 Sternen. Dabei ist so viel Potential für einen weniger stereotypen Handlungsverlauf vorhanden. Wie wäre es gewesen, wenn der Fokus stärker auf der Emanzipation der Frauenfiguren gelegen hätte? Was hätte noch aus dem Roman werden können, wenn der Fokus weniger auf Beziehungsdramen, sondern auf einem potentiellen Matriarchat gelegen hätte?