Das unfassbar Böse...

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botte05 Avatar

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Das erfolgreiche Autoren-Duo Cilla & Rolf Börjlind greift in diesem Kriminalroman ein aktuelles Thema auf: Den Strom der Flüchtlinge nach Europa und hier insbesondere die Masse allein reisender Kinder, von denen Medienberichten zufolge eine Vielzahl „einfach verschwindet“. Gerade dieser Realitätsbezug macht die Intensität des Buches aus, weil es eine durchaus schlüssige Antwort auf die Frage nach dem Verbleib der Kinder anbietet.

Am Hauptbahnhof von Stockholm herrscht Chaos. Immer wieder schwappen Wellen Schutz suchender Flüchtlinge in das Gebäude. Mitarbeiter bekannter Hilfsorganisationen sowie eine Flut freiwilliger Helfer sind dabei, diese Menschen willkommen zu heißen und sie mit dem zunächst Nötigsten zu versorgen. Auch behördliche Kräfte sind vor Ort, um einen Weitertransport der Hilfsbedürftigen in geeignete Quartiere zu organisieren.

Drei Kinder scheinen Glück zu haben; sie dürfen gemeinsam auf einem Hof in den Wäldern die Wartezeit bis zu ihrer Vermittlung in eine Familie verbringen. Ein einzelnes Mädchen jedoch irrt in den Straßen Stockholms herum. Ob es Glück sein kann, die Hilfe der drogenabhängigen Muriel zu finden, muss sich erst herausstellen.

Das Team der örtlichen Mordkommission kann das Flüchtlingsthema - ungeachtet teilweise privaten Engagements - nicht allzu nah an sich heranlassen; ein neuer Fall fordert die ganze Aufmerksamkeit. Der Leichnam eines Jungen wurde gefunden; Identität und Herkunft unbekannt. Was zunächst aussieht wie ein „normaler“ Fall von Menschenhandel und Pädophilie weitet sich aus zu einem internationalen Geschehen unfassbarer Brutalität und Grausamkeit. Selbst die Ermittler Tom und Olivia geraten in Belgrad in größte Gefahr, da sie sich nicht an die Warnungen der örtlichen Polizei halten. Und auch ohne diese akute Bedrohung, welche sich bis nach Schweden ausweitet, ist das gesamte Ermittlerteam bis ins Mark betroffen.

Das in diesem Buch geschilderte Geschehen ist für sich gesehen schon herzergreifend. Durch den aktuellen Bezug und die Frage, was hier in Europa mit den „verloren gegangenen“ Kindern geschehen sein mag, werde ich als Leser berührt und kann mich dem Sog der Spurensuche nicht entziehen. Dieser Kriminalroman ist für mich nicht „spannend“ im eigentlichen Sinne. Natürlich nehmen die Ermittlungen zur Lösung des Falles hin eine gewisse Dynamik auf, die ich ungern durch das Weglegen des Buches brechen möchte. Aber auch der Gedanke „so oder so ähnlich könnte es sein“ bindet mich fest an das Buch.

Auch wenn ich viele der in der Vita genannten Werke der Autoren kenne, hat mich die Qualität dieses Kriminalromans positiv überrascht. „Schlaflied“ ist der vierte Fall des Ermittlerduos Tom Stilton und Olivia Rönning, die Unkenntnis der vorherigen Bücher war für mich kein Nachteil hinsichtlich des Verständnisses. Allerdings wurde mein Interesse an der Vorgeschichte, aufgrund derer Tom und Olivia so sind, wie ich sie hier kennenlernen durfte, ungeachtet der Fiktion geweckt. Wer Kriminalromane mag, kommt auf Dauer m. E. an dieser Reihe nicht vorbei.

Das Schlaflied wurde ein letztes Mal gesungen, ein Fall gelöst, das Böse bleibt heute verborgen und ich bin froh, dass das fast Unfassbare ein Ende hat. Zugleich bin ich jedoch traurig, dass dieser – ungeachtet seiner schonungslosen Darstellung – kriminalistische Lesegenuss schon vorüber ist.


Rezension: Cilla & Rolf Börjlind, Schlaflied, Kriminalroman, btb Verlag, Broschiert, 576 Seiten, 15,00 €, Erscheinungsdatum: 20.02.2017