Gemeinsam trauern

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tausendmund Avatar

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Oh, die Vorfreude auf dich war riesig! Schon letztes Jahr liebte ich Stefanie vor Schultes Debüt „Junge mit schwarzem Hahn“ so sehr, dass ich wusste: Von dieser Autorin muss und werde ich alle Texte lesen! Und du hast mich mit den ersten Zeilen sofort wieder in dir gefangen genommen, mit diesem herben Ton, dieser großartigen, abgeschürft-pointierten Sprache, die jedem einzelnen Wort Bedeutung verleiht:

„Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe.“ (S. 5)

Das Familiengefüge der Mohns ist beschädigt, womöglich zerbrochen, denn kürzlich verstarb Mutter Johanne. Und mit diesem Stigma gehen sie nun durch die Welt: Für das Außen sind sie die Familie, der genau das fehlt, was sie doch überhaupt erst zur Familie gemacht hat. Die Leute sind sich sicher: Die Mohns müssen dringend mit der Trauer um Johanne abschließen, sogar das Traueramt wurde schon informiert, um die Trauerarbeit zu beschleunigen. Aber ist Trauer denn nun eine rein private Angelegenheit? Oder auch eine gesellschaftliche Aufgabe?

Auf sagenhaft melancholische Weise (die vor Schulte einfach draufhat) verhandelst du die Magie der Erzählungen über einen Menschen, der fehlt – als Mutter, Freundin, Ehefrau, Nachbarin, auch als Fremde. Du schenkst Charaktere, die man nicht mehr vergisst: Sie scheinen aus der Zeit gefallen, sind irgendwie schräg und wunderlich, aber auf die bezaubernde Art, denn sie sind Ausdruck für etwas zutiefst Menschliches, sowohl mit ihren Bedürfnissen wie auch ihren Handlungen.
Du begleitest uns nicht mit Vorsicht in den Plot, du schubst uns hinein. Auch wenn ich mich an vielen Stellen oft verwirrt fragte, was hier eigentlich gerade passiert (und das war toll), bleibst du mir mit vielen konkreten Bildern im Gedächtnis. Es ist genau diese szenische Darbietung vor Schultes, die mich kitzelt, mich inspiriert und mein eigenes Schreiben beflügelt.