Genug getrauert!

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der Themen wie Tod und Trauer gerne verdrängt werden. Sie sind unbequem und werden gerne im Alltag ausgeblendet. Das funktioniert nur so lange, bis es einen selbst trifft und durch den Verlust eines geliebten Menschen an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert wird. 

In ihrem Roman "Schlangen im Garten" zeichnet die Autorin Stefanie vor Schulte ein Bild einer Gesellschaft, in der diese Abwesenheit von Tod und Trauer auf die Spitze getrieben wird. Wird die Trauerarbeit verschleppt, ruft dies das sogenannte Traueramt auf den Plan. Es enthält Informationen von allerlei Denunzianten, die es zuhauf gibt. Mechanismen massiver sozialer Kontrolle sorgen dafür, dass "übertriebene" und ausufernde Trauer ein Ende gesetzt wird. Ergänzt werden diese durch stasiartige Bespitzelungen von Trauerbeamten, die auf entsprechende trauernde Personen "angesetzt" werden. Das ist die Grundidee und Ausgangskonstellation des Romans. Die beinhaltete Gesellschaftskritik an einer Gesellschaft, die das Trauern verlernt hat, gefällt mir gut und trifft meines Erachtens einen wunden Punkt in einer ansonsten individualisierten und pluralisierten Gesellschaft. 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Mohn. Vater Adam und seine Kinder Linne, Micha und Steve betrauern den Verlust von Mutter Johanne. Woran sie gestorben ist, erfährt der Leser nicht. Wohl aber, dass sie bei allen eine riesige Lücke hinterlässt, die eine lähmende Wirkung hat. Nichts ist mehr wie zuvor. Vater und Kinder sehen sich außerstande, weiter zu funktionieren wie bisher. Das Umfeld erlebt sie als "unnütze" Gesellschaftsmitglieder, die in ihrer Trauer versinken und sich weigern, die nächsten Schritte im Leben zu gehen. Die wütende Linne, der in sich gekehrte Micha, der fürsorgliche Steve und deren Vater zunehmend in Alltagsangelegenheiten überforderte Adam: Sie alle können und wollen nicht akzeptieren, dass Johanne von ihnen gegangen ist. So essen sie täglich eine Portion von Johannes Tagebucheinträgen, um sich Erinnerungen an sie wortwörtlich einzuverleiben. 

Sie alle begegnen Außenseitern des Lebens, die ihre je individuellen Geschichten von und mit Johanne zu erzählen haben. Dies schweißt sie zusammen. Selbst Herr Ginster in seiner Funktion als Trauerbeamter wird Teil dieser skurilen Gemeinschaft. Und dann gibt es noch wiederkehrende Begegnungen mit einer Schlange...

Ich habe zuvor bereits sehr viele Bücher über Tod und Trauer gelesen, doch keines ist wie dieses. Vor Schultes' Idee ist außergewöhnlich und hat mich gleich zu Beginn schon sehr fasziniert. Die Skizze einer trauerunfähigen Gesellschaft hat fast etwas von einer düsteren Dystopie, von der wir gar nicht so weit entfernt sind. Das Buch habe ich regelrecht verschlungen. Vor Schulte's Sprachstil mit den kurzen und prägnanten Sätzen hat es mir sehr leicht gemacht. Wäre da nicht so viel Fantastik, deren genaue Bedeutung und Symbolik ich nicht immer in all ihren Facetten verstanden habe, wäre es für mich ein klares 5 Sterne Buch gewesen. Leider habe ich ein wenig Abstriche machen müssen, da das Buch mir am Ende zu fantasylastig war und mir die Rückbindung an das reale Geschehen in und rund um Familie Mohn am Ende zu kurz kam. Dennoch eine große Leseempfehlung für alle, die sich dem Thema Trauer mal auf etwas unkonventionellere Art und Weise öffnen möchten.