Verschlüsselte und mythische Trauerarbeit

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missmarie Avatar

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"Linne ist ein Stein, der fliegen kann. Ein Felsen, der Höhlen verschließt und Menschen vergräbt."

Schon in diesen kurzen Sätzen entfaltet sich Stefanie vor Schultes mystisch-märchenhafte Bildsprache, die auf ungewöhnliche Analogien baut und an mittelalterliche Allegorien erinnert. Der Stil der Autorin zeichnet sich dadurch aus, dass die Realität märchenhaft erscheint und der Leser nicht weiß, wo die Gedankenwelt der Figuren endet und die fiktionale Wirklichkeit beginnt. Das macht es so schwer zu beschreiben, worum es in dem Roman eigentlich gilt. Denn die vielfältigen Bilder, Symbole, Anspielungen und Verweise lassen sich kaum vollständig nach einmaligem Lesen deuten. Demnach ist die nachfolgende Inhaltsangabe mehr als persönliche Deutung der Geschichte zu sehen als als eine Zusammenfassung, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Familie Mohn hat die Mutter bzw. Ehefrau verloren und steht nun mitten im Trauerprozess. Der Trauerbeamter Ginster hat eine ganz genaue Vorstellung, wie man richtig trauert und versucht, den Prozess zu überwachen. Doch die Mohns wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie man sich von einem geliebten Menschen verabschieden - weder von Behörden noch von den Nachbarn. Und schon gar nicht wollen sie, dass jemand anderes entscheidet, wie sie sich an die verstorbene Johanne erinnern sollen. Denn Trauer - das sollte doch etwas Privates sein. Und so verspeist die Familie - welch Sinnbild - Stück für Stück die Tagebücher der Frau. An Stelle der Erinnerungen eines Lebens setzen sie Geschichten und Erinnerungen anderer. Ob diese zutreffen oder doch eher Ausdruck einer Art Rückeroberung des Trauerprozesses sind, bleibt offen.

Vor Schulte zeichnet eigenwillige Figuren, die sich dem Leser bis zum Schluss nicht vollständig erschließen. Bidlreich erzählt sie von einem Außen, dass immer mehr in sich zusammenfällt, während eine Familie nach der Stabilität im Innen sucht. Und während der Leser gerade denkt, er habe etwas verstanden, wechselt die Erzählung wieder rasant die Richtung. Und so gelingt es auch ihm nicht, die Verstorbene Frau und den individuellen Trauerprozess der Familie Mohn zu fassen. Das macht die Erzählung zum einen spannend. Zum anderen ist diese experimentelle Herangehensweise nicht gerade zugänglich. Schlangen im Garten ist daher kein Roman, den man zur Entspannung nebenbei lesen kann. Diejenigen, die nicht gut mit literarischer Offenheit und Ambiguität umgehen können, sollten lieber zu einem anderen Werk greifen. Schriftstellerisch ist das Buch aber ein Kunstwerk.