Von der Fülle erzählen, die ein Leben gegeben hat

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teetrinkerin.67 Avatar

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Familie Mohn ist in Trauer, Vater Adam und die Kinder Linne, Micha und Steve haben Ihre Mutter und Frau verloren. Johanne ist tot. Stefanie vor Schulte erzählt in ihrem zweiten Roman von der Trauer, die diese Familie aus der Zeit fallen lässt. Sie leben in ihrer eigenen Welt, nehmen Abschied in dem sie die Tagebücher von Johanne verzehren, unters Essen mischen und runterschlucken. Die Regeln der Gesellschaft haben keine Gültigkeit mehr, sie sind aufgehoben. Es spielt keine Rolle, was die Nachbarn sagen oder der Trauerbeamte, der ihnen vom Traueramt zugeteilt wird. Kontakt halten sie nur zu einigen Menschen, die ebenfalls außerhalb der Regeln leben, nicht ganz in die vorgegebenen Strukturen passen. Der Übergriffigkeit der anderen weichen sie aus, in dem sie Johanne neu erfinden, sich Geschichten über sie erzählen, die so vielleicht gar nicht stattgefunden haben. Sie brauchen einen Schild, der sie schützt. Der ihnen Zeit gibt, sich dem Leben ohne den geliebten Menschen zu stellen. Die Sätze sind in diesem Roman sind kurz, selten länger als eine Zeile und mit einer Bildkraft, auf die ich mich gerne eingelassen habe. Ohne Voyeurismus schaue ich in die Gefühlswelt der Familie hinein, in der jeder für sich den inneren Weg des Verabschiedens geht. Sie sind wie betäubt, gebrochen, auf sich zurückgeworfen und geben sich zugleich auch immer wieder untereinander Halt. Die Gemeinsamkeit stellen sie nicht in Frage, die Wohnung ist das Zentrum ihres Daseins.
Stefanie vor Schulte nimmt mich als Leserin an die Hand und führt mich in eine Zwischenwelt. Die Welt derjenigen, die aus dem Rahmen fallen und sich gegenseitig stützen und so einen Absturz verhindern. Sie stehen füreinander ein, auch wenn in ihnen der Aufruhr tobt und die gebrochenen Herzen nicht heilen können. Eingängig schildert vor Schulte die außergewöhnliche Zeit für die Familie und schafft es, den Verlust glaubhaft zu schildern. Nicht nur den des geliebten Menschen, sondern auch den Verlust der Zeit, des gesellschaftlichen Rahmens, der Sicherheit. Es ist wie ein langsames Trudeln auf den Grund eines trüben Sees, doch spürt man die Kraft, die aus ihnen selbst und ihren Begegnungen erwächst. Sie gehen weiter, immer weiter.
Ich wünsche mir, dass Stefanie vor Schulte noch sehr viele Bücher schreiben wird und mich in märchenhafte Welten entführt, in denen es gruselig zugehen kann und Hindernisse zu bewältigen sind und jeder Mensch seine eigene Stimme bekommt und seinen Weg geht.