Dem Schnitter ein Schnippchen schlagen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

 

 

 

Josh Bazells Beat the Reaper (Schneller als der Tod) ist einer der besten und ungewöhnlichsten Thriller, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

Es geht um Dr. Peter Brown alias Pietro “Bearclaw” Brnwa, einen ehemaligen Auftragskiller der Mafia, der ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, Medizin studierte und jetzt in der Notaufnahme des heruntergewirtschafteten Manhattan Catholic Hospital arbeitet. Zu Beginn des Romans ist er auf dem Weg zur Arbeit, die er nur mit Hilfe einer Vielzahl von Drogen und Aufputschmitteln übersteht, als er überfallen wird. Von da an geht erst einmal alles schief. Er soll dem reichen Geschäftsmann Nicholas LoButto mitteilen, dass er Krebs im Endstadium hat. Tatsächlich handelt es sich um den alten Mafiaboss Eddy Squillante, der ihn sofort erkennt. Sie machen einen Deal. Der Patient verspricht, seine Deckung nicht auffliegen zu lassen, solange Dr. Brown ihn am Leben erhält, Squillante verrät ihn jedoch sofort an die Mafia, und damit ist Peter Brown Freiwild und muss um sein Leben kämpfen.

Peter Brown erzählt seine Geschichte als Ich-Erzähler auf zwei Zeitebenen. Die eine ist die Erzählgegenwart, die einen Zeitraum von acht Stunden umfasst. Die andere berichtet über die Vergangenheit und legt dar, wieso Peter/Pietro überhaupt in Kontakt mit der Mafia kam. Als knapp fünfzehnjähriger Schüler hat er eines Tages seine Großeltern ermordet aufgefunden, und die Polizei war nicht in der Lage, das Verbrechen aufzuklären. Von da an sucht sich der Junge die Kontakte, die ihm weiterhelfen können und findet über einen Schulfreund Anschluss an eine einflussreiche Mafiafamilie.

Er trainiert asiatische Kampfsportarten und nimmt schließlich Rache für den Mord an seinen Großeltern. Da er sich als sehr talentiert erweist, arbeitet er fortan als Auftragskiller für Mafioso David Locano. Später verärgert er seinen Auftraggeber, dieser spielt ein falsches Spiel, und die Freundschaft mit seinem Sohn zerbricht. Pietro verliert die Liebe seines Lebens und nimmt erneut Rache. Hier liegen die Wurzeln seines Konflikt mit der Mafia, die ihn jetzt in Lebensgefahr bringen. Beide Zeitebenen bewegen sich rasend schnell aufeinander zu. Im Schnittpunkt der Handlungslinien findet der große Showdown statt, in dem Pietro/Peter zeigen muss, dass er nichts von seinen Fertigkeiten verlernt hat. Seine anatomischen Kenntnisse kommen hier sehr gelegen, denn sie machen seine Verteidigungs- und Angriffstechnik noch effizienter.

Ein Kritiker hat Schneller als der Tod “Ein sehr wunderliches, grandioses Buch” genannt. Er hat Recht, nur im Krankenhaus oder unmittelbar vor einer Operation sollte man es vielleicht nicht lesen. Das könnte das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen. Bazells Roman ist ein witziger Thriller, was schon ungewöhnlich genug ist, aber es gibt auch eine Reihe von ziemlich unappetitlichen Szenen. Man kann sagen, dass die Beschreibung der Operationen genauso blutig und abstoßend ist wie die der Morde. Es gibt einige recht ausgefallene Sexszenen - im Aufzug, im Haifischbecken... Obwohl Bazell mit ungeheurem Tempo erzählt, nimmt er sich noch Zeit für einige Exkurse. Er berichtet über Auschwitz und die Folgen, die dunkle Vergangenheit von I.G. Farben, die Geschichte der New Yorker Mafia, die Verwicklung der Mafia in die New Yorker Müllgeschäfte, und er beurteilt äußerst zynisch den Krankenhausalltag in den USA und das amerikanische Gesundheitssystem. Bazell nutzt sicherlich sein Insiderwissen, wenn er zeigt, dass die Krankenhäuser den Aspekt der Rentabilität über das Patientenwohl stellen, sehr zum Nachteil der Patienten, die außerdem zu Tausenden durch mangelnde Hygiene in den Krankenhäusern oder durch Fehler der Ärzte sterben.

Originell ist seine Verwendung von Fußnoten. Sie erläutern medizinische Begriffe, sind witzig oder ironisch und stellen in gewisser Weise eine dritte Zeitdimension dar, da sie den Eindruck eines “Danach” erwecken, das später anzusiedeln ist als die erzählte Romanhandlung.

Am meisten gelungen ist jedoch die Figur des Pietro/Peter. Wann hat man zuletzt einen Auftragskiller so sympathisch gefunden, dass man ihm das Überleben wünscht? Er ist zynisch, brutal, ein gnadenloser Killer, wenn es sein muss, aber er hat seinen eigenen Ehrenkodex, und er ist ein guter Arzt. Er renkt seinem Angreifer den Ellbogen wieder ein und bewahrt eine hübsche junge Frau im letzten Moment vor der Amputation ihres Beins, nachdem er die Fehldiagnose des behandelnden Arztes erkannt hat.

Nach seinem stark beachteten Debüt schreibt Bazell seinen zweiten Roman. Man darf gespannt sein.