Niemals beklagen, niemals erklären

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
lesen-lesen Avatar

Von

Die Schönwalds sind auf den ersten Blick eine normale deutsche Familie: Vater Harry ist pensionierter Staatsanwalt, Mutter Ruth hat ein Faible für Literatur und hätte gerne eine Laufbahn als Professorin eingeschlagen, Sohn Chris lebt und arbeitet in New York, Tochter Karolin versucht sich an der Eröffnung eines queren Buchladens in Berlin und Sohn Benni lebt mit Frau und zwei Kindern in der Uckermark. Aus der Sicht der einzelnen Familienmitglieder erfährt man nach und nach, wie kompliziert dieses Familiengefüge ist und was passiert, wenn man über wirklich Wichtiges nicht miteinander spricht.
Allen voran ist es Ruth, die von ihrem Vater gelernt hat, sich niemals zu beklagen und niemals zu erklären. Dadurch vermeidet sie jedes Aufarbeiten von Problemen, jedes Klären von Konflikten. Ihre verpassten Chancen zu einer Professur bestimmten ihr gesamtes Ehe- und Familienleben, durch ihre Weigerung zu Kommunizieren entfremdet sie sich nicht nur von Harry, sondern auch von ihren Kindern. Sie erscheint mir hart zu sich selber und anderen, ist aber zuletzt nur eine zutiefst unglückliche Frau, die nicht aus ihrem Panzer herauskommen kann.
Harry ist so weit zufrieden mit seinem Leben, war aber immer auch konfliktscheu und zögerlich. Ahnend, dass seine Frau ein dunkles Kapitel vor ihm verheimlicht, hat er doch Angst vor der Büchse der Pandora.
Chris ist erfolgreicher Professor in den USA, bis es auf unschöne Art zur Kündigung kommt und er sich einer Gruppe Trump-Anhängern anschließt. Dies verheimlicht er jedoch vor seiner Familie, lebt er ihnen doch den Traum vom erfolgreichen Sohn und Bruder vor. Anfangs ist er mir in seiner Oberflächlichkeit sehr unsympathisch. Im Laufe des Buches erfährt man dann von seiner tiefen Verbundenheit zu den Geschwistern und wie es zu der Kündigung kam, dabei setzt sich langsam ein völlig neues Bild zusammen.
Karolin ist völlig zerrissen, von ihren Lebensumständen, ihrer sexuellen Orientierung. Die Aufarbeitung einer Episode aus ihrer Vergangenheit hätte ihr sicher gut getan, ist aber an der Verdrängungstaktik ihrer Mutter gescheitert.
Schließlich ist da der hochintelligente Lebenskünstler Benni, dominiert von seiner reichen und konsequenten Frau. Er ist hin und her gerissen zwischen der Loyalität zu seiner Frau und seinen Eltern und Geschwistern.
Immer wieder ist es Ruth, bei der die Fäden zusammen laufen. Philipp Oehmke ist es gelungen, ein fast spannendes Porträt einer Familie zu schreiben, die perfekt darin geworden ist, ihre Geheimnisse zu hüten und den äußeren Schein zu wahren. Dabei bedient er sich eines Schreibstils, der zum Teil durch anspruchsvolle Sätze geprägt ist und mit dazu beiträgt, dass dieses Buch richtig Spaß macht zu lesen. Hier merkt man seinen Fokus als Reporter auf die Literatur. Tolle Charakterstudien und spannende Episoden im Leben der Familie Schönwald machen dieses Buch zu einem absoluten Lesevergnügen.