Vielschichtig

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mike nelson Avatar

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Vielschichtig. Philipp Oehmke ist mit "Schönwald" ein fast schon zu vielschichtiger Gegenwartsroman gelungen - ein Fünfhundertfünfzigseitenwälzer, den ich von der ersten bis zur letzten Seite habe genießen können. Immer wieder musste ich das Werk aber zur Seite legen - ganz einfach, um über das Gelesene nachzudenken: Die recht präzise Analyse einer Gegenwart, die die Wahrheit nicht nur in Frage stellt, sondern in der unterschiedlichste Gruppierungen die Wahrheit für sich reklamieren und in einer für die Öffentlichkeit verwirrenden Weise verbiegen. Es geht um Fake und Deutungshoheit, um politisch korrektes Verhalten bis in den Sprachgebrauch hinein; es geht um die Wiederankopplung der Familiengeschichte an die eigene Gerschichte; es geht um Nazivergangenheit und Queerness... und der Aufhänger ist ein recht simples Ereignis - die Eröffnung eines queeren Buchladens in Berlin, wozu Karolin nicht nur ihre Familie einlädt; doch das Geld zur Finanzierung des Buchladenprojets entstammt der Erbmasse ihrer Familie mit Nazivergangenheit; bleibt es trotzdem ein ehrenwertes Projekt, oder dient es als eine Art 'Greenwashing' der Bereinigung der Vergangenheit. Natürlich werden auch Familiengeheimnisse aufgedeckt. Der Autor zeigt Widersprüche auf - in seinen Figuren und in der Gesellschaft; er verdeutlicht in ausgeklügelter Weise und mit gelungenen Formulierungen und Beschreibungen, wie schwer es geworden ist, sich ethisch-moralisch korrekt zu verhalten. Fast schon hat man nach Beendigung dieses lohnenswerten Romans das große Bedürfnis, der öffentlichen Welt den Rücken zuzukehren und sich ins rein Private zurückzuziehen, in der Hoffnung, dort zumindest das kleine Glück vorzufinden... wird aber feststellen müssen, dass das Öffentliche schon längst das Private durchdrungen hat. Unbedingt lesen!!!