Solider Krimi mit viel Lokalkolorit

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marionhh Avatar

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Dr. Leon Ritter, deutscher Rechtsmediziner in der Provence, bekommt von seiner Tante Odette einen Weinberg überschrieben – samt Wein umranktem Häuschen. Er hat kaum Zeit dies zu verdauen, da wird in einem Schuppen an der Grundstücksgrenze eine mumifizierte Leiche gefunden. Zudem wird eine deutsche Studentin, die bei der Weinlese helfen wollte, vermisst. Ritters Ehrgeiz ist geweckt, und bald hat er alle Hände voll zu tun, nicht nur die Rechtmäßigkeit seines neuen Besitzes nachzuweisen, sondern auch zur Lösung des undurchsichtigen Falls beizutragen. Zusammen mit seiner Vermieterin Isabelle, der stellvertretenden Polizeichefin von Le Lavandou, beginnt er zu ermitteln und gerät dabei nicht nur einmal in brenzlige Situationen…

Zweiter Fall für den deutschen Rechtsmediziner, der nach einem Schicksalsschlag in der scheinbar beschaulichen Provence ein neues Leben fernab von Serienmördern und Psychopathen beginnen wollte. Das gelingt ihm auch mehr oder minder gut, ist er doch inzwischen recht gut in die kleine Dorfgemeinschaft integriert und wird anerkannt. Dies wiederum hilft ihm sehr häufig bei seinen Ermittlungen, die oftmals so nebenbei, z.B. beim Boule, erfolgen. Er erhält Informationen, die entscheidend zur Lösung beitragen und an die ein „Flic“ als Autoritätsperson nicht so ohne Weiteres gekommen wäre. Ritter ist ein sympathischer Charakter, ruhig, sachlich, penibel und ehrgeizig bei seiner Arbeit, privat jedoch auch emotional und einfühlsam. Generell scheint er überdimensional sensibel zu sein, denn er „sieht“ Dinge, wenn er alleine mit seinen Leichen ist, die ihn ebenfalls weiter an die Lösung heranführen. Dies hat jedoch nichts mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun. Privat verarbeitet er außerdem noch immer den Tod seiner Frau, gewinnt aber langsam seine Lebensfreude zurück. Dementsprechend liegt ein großer Teil der Geschichte auf seinem Privatleben, es werden große Teile darauf verwendet zu beschreiben, wie er sich für seinen Weinberg engagiert und seine Beziehung zu Dorfbewohnern und zu Isabelle und ihrer Tochter.

Der Fall selbst ist recht spannend, wenn auch nicht allzu verwickelt, obwohl es als klassische Detektivgeschichte konzipiert ist. Es tauchen nicht viele Verdächtige auf und man weiß natürlich, dass die mumifizierten Leichen und das Verschwinden der Studentin zusammenhängen, zumal sehr häufig aus der Sicht von Täter oder Opfer erzählt wird. Die Geschichte ist jedoch sehr flüssig und gut geschrieben, man ist sofort gefesselt und bleibt aufgrund der diversen Perspektivwechsel und der häppchenweise verabreichten Details am Ball und will unbedingt wissen, wie es ausgeht. Besonders spannend fand ich die Beschreibungen von Ritters rechtsmedizinischer Arbeit, die detailliert dargestellt wird und von einiger Kenntnis des Autors zeugt, und die Fähigkeit Ritters, aufgrund seiner Ergebnisse ein richtiges Täterprofil zu erstellen, er also auch schon die Aufgabe eines Profilers übernimmt. Das Ermittlerteam der Polizei wirkt, bis auf Isabelle, eher unfähig und überfordert, die meisten sind unsympathisch oder bleiben blass. Die Polizeiarbeit geht eher als Zuarbeit für Ritter vonstatten und nicht umgekehrt. Hier wird deutlich die Beziehung zwischen Ritter und Isabelle hervorgehoben, nicht nur privat, sondern auch beruflich sind sie ein gutes Team. Die Dorfbewohner hingegen sind sehr liebevoll gezeichnet und oftmals skurrile Charaktere, über die man gerne mehr erfahren würde und die Leon mehr als einmal helfen.

Alles in allem ein solider Krimi mit viel Lokalkolorit und sympathischen Hauptfiguren. Die Geschichte lebt nicht nur vom durchaus interessanten Fall, sondern in meinen Augen noch mehr von den Beziehungen der Figuren untereinander und besonders vom Leben und Wirken von Leon Ritter. Der Fokus wird eindeutig auf seine Erlebnisse gelegt, d.h. seine Beziehung zu Isabelle und ihrer Tochter, das Leben im Dorf und sein Bestreben, seinen neuen Besitz rechtmäßig zu machen, liegen doch sehr im Vordergrund. Die Lösung des Falles geschieht denn auch mehr zufällig, ist jedoch schlüssig. Man muss den ersten Band nicht unbedingt gelesen haben um in die Geschichte hineinzukommen, man benötigt keine Vorgeschichte, da diese immer wieder angerissen wird, und der Schreibstil ist eingängig und Story und Charaktere fesseln. Der Autor versteht es durch die Erzählung aus Opfersicht Spannung aufzubauen und gibt sehr dosiert Erkenntnisse preis, die aus den Untersuchungen Ritters gewonnen werden und sich mit der Ermittlungsarbeit der Polizei verbinden. So wird das Ganze ein sehr rundes und unterhaltsames Lesevergnügen.