Das wahre Leid lässt sich erahnen

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gaudbretonne Avatar

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Bereits die Inhaltsangabe hat mich sehr neugierig gemacht. Als Kind des Ruhrgebiets der frühen 80er habe ich mich beim Lesen der Leseprobe an vielen Stellen dank der treffenden Beschreibungen in meine Kindheit versetzt gefühlt. Der Autorin gelingt es vortrefflich, diese vergangene Welt wieder zu erwecken. Allein dafür gebührt ihr großes Lob!
Auch wenn wir (recht) zeitnah in der selben Region aufwuchsen, wird jedoch schnell deutlich, dass zwischen unseren Leben - meinem gutbürgerlichen und ihrem - Welten liegen. Bereits bei ihrer Geburt erfährt sie nämlich rassistische Ablehnung durch ihre Großmutter, die ihren Fehler allerdings schnell einsieht und die für sie scheinbar zu einer wichtigen Bezugsperson wird: „Und vielleicht sind wir uns deshalb so nah, weil wir immer wieder Fehler machen, die unsere Liebe zueinander aber niemals schwächen, sondern immer nur stärken.“ Mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen gelingt der Autorin so kleine „Glücksmomente“ für den Leser zu kreieren, die von viel Sensibilität zeugen.
Allerdings zieht sich Ablehnung, Gewalt und Rassismus durch ihr weiteres Leben . Davon berichtet sie offen, hart und schonungslos: „Er hat mich gefickt. Schnell, hart, so wie er es mag. Kurz vor dem Abspritzen zieht er seinen Schwanz raus, um mir den Rest zu geben. Ins Gesicht. Verpasst dem ganzen demütigenden Akt sein Sahnehäubchen.“ An diesen Stellen lässt sich nur erahnen, welchen Schmerz und was die junge Frau in ihrem Leben bereits erfahren hat. Umso bewundernswerter ist ihre Intention, die sie direkt zu Beginn des Romans verlauten lässt: „Ohne mich bist du nichts», sagten sie. «Aus dir wird nie was!», behaupteten sie. Ich glaubte ihnen. Und hätte ich nicht damit aufgehört, ihnen Glauben zu schenken, und angefangen, an mich selbst zu glauben, dann hätten sie recht behalten.Aber es ist mir gelungen, mich freizukämpfen. Es ist mir gelungen, den Scherbenhaufen, der mein Leben war, zusammenzufegen und die Bruchstücke neu zusammenzusetzen. Ich habe sie überlebt. Ich lebe. Ich habe es geschafft, aber das ist nicht selbstverständlich. Ich möchte zeigen, was Rassismus mit Menschen machen kann, wohin Misogynie führen kann.“
So leistet dieses Buch einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Ungerechtigkeiten!
Gerne möchte ich daher lesen, wie sie sich aus der Misere gezogen hat und was sie dem Rassismus entgegen setzen kann. Wir alle können hier nur von der Erzählerin, die situationsgemäß scheinbar immer den richtigen Ton trifft, lernen!