Kurz vor dem Untergang?

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petris Avatar

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Gerade noch war sie Ona, jetzt ist sie auf dem Weg Emma zu werden. Das, was sie beruflich macht, nennt die Protagonistin „Begegnungen“. Sie schlüpft in die Rollen anderer Frauen, wird zu ihnen, um ihren Angehörigen die Möglichkeit zu geben, die Beziehung mit ihrer Schwester, Tochter, Frau weiterführen zu können. Dabei liegt es ihr nicht daran, die Konflikte zu lösen oder weiterzuentwickeln, ganz im Gegenteil.
Sie lebt in einer dystopischen Welt, die Überhitzung der Erde liegt in der Vergangenheit, inzwischen ist das Klima kühl geworden, die warmen, sonnigen Tage sind wenige. Ihre Siedlung ist abgeschlossen, es gibt nur wenige Regeln: Keine Gewalt, außer es kommen Eindringlinge, die müssen getötet werden, aber es kommt sowieso nie jemand. Man darf die Siedlung nicht verlassen, aber das will auch niemand, denn draußen wartet nur der Tod und selbst wenn man es zu einer anderen Siedlung schaffen würde, würde man spätestens dort von den Bewohnern getötet werden. Von den wenigen, die es versucht haben, hat man nie wieder gehört. Und es darf nicht über das Davor gesprochen werden.
Alle scheinen zufrieden zu sein. Es gibt die wichtigsten Güter, man lebt in relativer Freiheit und Sicherheit. Doch unter der Oberfläche beginnen sich die Dinge zu verändern, Jugendliche verabreden sich, um gegenseitig an sich Gewalt auszuüben, anfangs kontrolliert, möglichst ohne Spuren zu hinterlassen, doch bald läuft etwas aus dem Ruder. Auch so beginnt die Welt Risse zu bekommen. Vorzeichen des Untergangs der Siedlung? Und warum lässt sich Ona auf die neue Rolle der Emma ein, obwohl sie gegen einige ihrer selbst gesetzten Regeln für ihre Arbeit verstößt?
Mich hat dieser Roman total geflasht, und ich habe ihn an einem Tag ausgelesen. Gut, er ist nicht besonders dick (knapp 190 Seiten), aber sehr dicht und intensiv. Die dystopische Welt wird realistisch geschildert, die Charaktere sehr menschlich und lebendig mit viel Tiefgang, Ecken und Kanten und Widersprüchen, so wie Menschen eben sind. Nicht alles wird erklärt, über vieles kann man eigene Ideen entwickeln.
Themen wie Gemeinschaft, Freundschaft, Liebe, aber auch häusliche Gewalt und die Gewalt, die in jeder und jedem von uns steckt finden ihren Platz.
Ein dünner, aber sehr intensiver Roman, der meine Gedanken noch länger beschäftigen wird. Von mir gibt es eine klare Empfehlung.