Psychologische Dystopie

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jentis4711 Avatar

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Amira Ben Saoud hat einen vielversprechenden Debütroman mit einer ganz eigenen und sehr originellen Story vorgelegt, der zugleich für ein breites Publikum funktioniert - und das an sich ist schon eine große Leistung!

Der Roman scheint in einer nicht klar definierten Zukunft zu spielen, mindestens jedoch in einer alternativen Gesellschaft, über der eine düstere Stimmung liegt - viele kleine und große Anzeichen sprechen für eine nicht allzu weit entfernte Dystopie. Zusätzlich zu dieser gesellschaftlichen Ebene gesellt sich eine feine psychologische Ebene rund um die Hauptfigur, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, für einen begrenzten Zeitraum die Identitäten von vermissten Menschen zu übernehmen (mit klarem Auftrag und gegen Bezahlung). Diese Idee allein wäre schon genial, verstörend und verlockend genug, um einen Roman zu füllen.

Das zugegebenermaßen sehr dünne Buch hat mich sprachlich und mit seiner Handlung in den Bann gezogen; es hat allerdings auch sehr, sehr viele Fragen offen gelassen. Das ist an sich nicht schlimm, an einigen Stellen hätte man allerdings noch mehr aus den Ideen machen, noch tiefer in die Marterie einsteigen können. Ich als Leserin hatte manchmal das Gefühl, dass die Lücken nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung der Autorin im Sinne des Gesamtwerkes waren, sondern dass die Story insgesamt nicht funktioniert hätte, wenn Kausalität und Logik eine größere Rolle gespielt hätten. Dafür, dass der Roman jedoch die Fragen in mir aufgeworfen hat, die er vermutlich aufwerfen wollte, hat er trotzdem für mich funktioniert - daher eine Empfehlung!