Starker Beginn, Ende lässt mich etwas ratlos zurück
Der Roman Schweben von Amira Ben Saoud spielt in einer nicht näher definierten dystopischen Zukunft. Durch die Klimakatastrophe haben sich die Lebensbedingungen so drastisch geändert, dass die Menschen nun nicht mehr global vernetzt sind (zumindest nicht auf individueller Ebene), sondern in abgeschotteten Siedlungen leben. Eine unbekannte Regierung bzw. Organisationsinstanz scheint es in irgendeiner Form aber dennoch zu geben, denn ein Warenaustausch zwischen den Siedlungen findet statt (der Kapitalismus stirbt wohl als letztes…). Das Setting hat mich durchaus sehr an The Giver von Lois Lowry erinnert: Erinnerungen an früher, bzw. das Aneignen von Wissen sind verboten und ein Verlassen der Siedlung wird mit dem Tod gleichgesetzt.
Die Protagonistin von Schweben verdient ihr Geld durch „Begegnungen“. So nennt sie das von ihr erdachte Geschäftsmodell, bei dem sie bis zur kompletten Selbstaufgabe in die Rolle einer anderen schlüpft, um den (meist männlichen) Auftraggebern dabei zu helfen, Beziehungen erneut zu durchleben und/oder zu verarbeiten. Viel mehr kann ich zur Handlung gar nicht sagen, ohne zu viel vorwegzunehmen.
Identität ist also ganz klar ein zentrales Thema dieses Romans. Aber es gibt noch mehr. Die ersten zwei Drittel des Buches lesen sich für mich wie ein Kommentar der aktuellen gesellschaftlichen Situation, vor allem in Hinblick auf systemische Gewalt und Machtstrukturen. Im Buch ist Gewalt verboten, und darum gibt es sie natürlich nicht (zwinki-zwonki). Da höre ich doch gleich Horst Seehofer, wie er meint, Racial Profiling bei der Polizei gibt es nicht, weil das ja verfassungswidrig wäre. Und auch die Abhängigkeit vieler Frauen von ihren Partnern wird thematisiert, wobei unter anderem gezeigt wird, wie schleichend dieser Prozess ablaufen kann und wie wenig Chancen sie haben, wenn das System nur scheinbar ihren Schutz gewährleistet.
Leider passieren im letzten Drittel dann ein paar Dinge, die mich an dieser Interpretation zweifeln lassen und mich ziemlich ratlos machen. Viele Aspekte werden nicht erklärt (das ist bei Dystopien ja durchaus mal der Fall, aber hier hätte ich mir wirklich mehr Aufklärung gewünscht) und bestimmtes Verhalten erscheint mir patriarchale Strukturen geradezu zu untermauern. Auch ist mir aufgefallen, dass (mit einer Ausnahme) sämtliche Individuen im Leben der Protagonistin Männer sind. Dabei hatte es so gut angefangen, zum Beispiel mit einem scheinbar unkomplizierten Zugang zu Verhütung und zwei guten Gegenentwürfen zu toxischer Männlichkeit. Und klar, die „Übermacht“ männlicher Individuen kann natürlich auch als Kritik genau daran gedacht sein – aber dafür ist mir die Thematik nicht rund genug, das gibt das Buch für mich nicht her.
Insgesamt also leider kein Highlight für mich, auch wenn ich das Buch gerne und schnell gelesen habe. Trotz vieler guter Aspekte und klug inszenierter Elemente (alleine über den Titel des Prologs könnte ich Lobeshymnen schreiben) hat mich das Buch gegen Ende verloren – sehr schade, denn das Potenzial war da!
3,5/5 Sterne.
Die Protagonistin von Schweben verdient ihr Geld durch „Begegnungen“. So nennt sie das von ihr erdachte Geschäftsmodell, bei dem sie bis zur kompletten Selbstaufgabe in die Rolle einer anderen schlüpft, um den (meist männlichen) Auftraggebern dabei zu helfen, Beziehungen erneut zu durchleben und/oder zu verarbeiten. Viel mehr kann ich zur Handlung gar nicht sagen, ohne zu viel vorwegzunehmen.
Identität ist also ganz klar ein zentrales Thema dieses Romans. Aber es gibt noch mehr. Die ersten zwei Drittel des Buches lesen sich für mich wie ein Kommentar der aktuellen gesellschaftlichen Situation, vor allem in Hinblick auf systemische Gewalt und Machtstrukturen. Im Buch ist Gewalt verboten, und darum gibt es sie natürlich nicht (zwinki-zwonki). Da höre ich doch gleich Horst Seehofer, wie er meint, Racial Profiling bei der Polizei gibt es nicht, weil das ja verfassungswidrig wäre. Und auch die Abhängigkeit vieler Frauen von ihren Partnern wird thematisiert, wobei unter anderem gezeigt wird, wie schleichend dieser Prozess ablaufen kann und wie wenig Chancen sie haben, wenn das System nur scheinbar ihren Schutz gewährleistet.
Leider passieren im letzten Drittel dann ein paar Dinge, die mich an dieser Interpretation zweifeln lassen und mich ziemlich ratlos machen. Viele Aspekte werden nicht erklärt (das ist bei Dystopien ja durchaus mal der Fall, aber hier hätte ich mir wirklich mehr Aufklärung gewünscht) und bestimmtes Verhalten erscheint mir patriarchale Strukturen geradezu zu untermauern. Auch ist mir aufgefallen, dass (mit einer Ausnahme) sämtliche Individuen im Leben der Protagonistin Männer sind. Dabei hatte es so gut angefangen, zum Beispiel mit einem scheinbar unkomplizierten Zugang zu Verhütung und zwei guten Gegenentwürfen zu toxischer Männlichkeit. Und klar, die „Übermacht“ männlicher Individuen kann natürlich auch als Kritik genau daran gedacht sein – aber dafür ist mir die Thematik nicht rund genug, das gibt das Buch für mich nicht her.
Insgesamt also leider kein Highlight für mich, auch wenn ich das Buch gerne und schnell gelesen habe. Trotz vieler guter Aspekte und klug inszenierter Elemente (alleine über den Titel des Prologs könnte ich Lobeshymnen schreiben) hat mich das Buch gegen Ende verloren – sehr schade, denn das Potenzial war da!
3,5/5 Sterne.