Das grausame 20. Jahrhundert

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rockchickdeluxe Avatar

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Schwebende Lasten ist ein belletristischer Titel, so können doch Lasten, die schweben, nicht mehr die Schultern niederdrücken.

Der Roman erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts in einem einzigen Leben. Eins dieser unzähligen Leben, die von Krieg, Kampf und eisernem Willen gezeichnet sind.

Im Mittelpunkt steht Hanna Krause, Blumenbinderin und Kranführerin. Noch so etwas metaphorisches, denn von oben blickt sie jahrelang auf die Dinge des Lebens herab.

Auf der erste Seite steht in drastischer Kürze die Biographie von Hanna, die die volle Wucht dieses grausamen 20. Jahrhunderts in allen Facetten erlebt hat. Sie hat die Weltkriege erlebt, zwei Revolutionen und zwei Diktaturen, hat zwei ihrer sechs Kinder verloren, war unter den Trümmern einer einstürzenden Kirche begraben. Sie hat alles verloren und trug als eine der Lasten ihren Mann Karl, der seinerseits ein Bein verlor und im Alter stumm wurde. Als Kranführerin in der Halle eines Schwermaschinenbaubetriebes schließlich hatte sie einen guten Überblick auf die Beziehungen der Menschen unter ihr.

Wie also erzählt Annett Gröschner ein ganzes Jahrhundert? Ohne Privilegien, aber eben auch ohne Selbstmitleid. Der Stil ist trocken, nüchtern geradezu, und wirkt aufgrund der fatalen Umstände oft fast ironisch. Jedem Kapitel steht die Charakteristik einer Blume voran, und so werden die Blumen zum Leitmotiv. Sie sind Trost, Erinnerungsanker oder einfach Hinweis auf das Unmögliche. So wie auch manche Blumen niemals gleichzeitig blühen, gibt es eben Dinge, die nicht koexistieren können. Oder einfach nicht stattfinden.

Dieses Buch ist ein Denkmal. Meine Mutter wollte immer einen Orden für Bügeln bekommen, und daran musste ich denken, als ich die Geschichte von Hanna Krause las. Annett Gröschner hat den Orden verliehen. Für all die Frauen, die vor den Abgründen des 20. Jahrhunderst standen, die ihr Schicksal klaglos angenommen und jeden Tag alles gegeben haben, weil Aufgeben keine Option war.

Dieses Buch müsste Schullektüre werden. Denjenigen, die meinen, dass ihnen etwas fehlt, obwohl sie im Überfluss der Güter und Entscheidungsmöglichkeiten leben, möchte ich täglich daraus vorlesen. Das ist die Geschichte meiner Uroma, meiner Oma und meiner Mutter aus Hamburg und Kiel, und ich freue mich über dieses bemerkenswerte Stück Zeitgeschichte.