Eine weibliche Perspektive auf das 20. Jahrhundert

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katma Avatar

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Hannah ist wirklich eine bewundernswerte Frau. Sie wächst in der Weimarer Republik auf, allein mit Mutter und 2 Halbschwestern, der polnische Vater hat die Familie verlassen und wird nicht mehr erwähnt. Sie hilft im Blumenladen der einen Halbschwester, kümmert sich zeitweise aber auch um den Haushalt der anderen. Der erste Mann, den sie kennenlernt, schwängert sie auch gleich und muss geheiratet werden, obwohl er alles andere als eine gute Wahl ist. Auf die erste folgen viele weitere Schwangerschaften, nicht alle Kinder überleben und das ist wahrscheinlich auch gut so. Da Karl es nicht kann, bringt Hannah die ganze Familie irgendwie durch, überlebt den 2. Weltkrieg, Ausbombung, Armut, Verluste, Diktaturen. Sie arbeitet als Putzfrau, in der Fabrik, später als Kranführerin aber ihre Leidenschaft gehört den Blumen und Pflanzen. Folgerichtig beginnt jedes Kapitel mit der Vorstellung einer Pflanze oder einem Insekt vorangestellt, was eine wunderschöne Idee der Autorin ist. Hannah ist keine besonders sympathische Figur: sie ist eine einfache Frau aus der Arbeiterklasse, trifft falsche Entscheidungen, schlägt ihre Kinder. Und doch bewundere ich sie, weil sie mit ihrer Stärke überzeugt.

Das Buch hat es wirklich in sich, es erzählt vom geliebten Blumenladen im Knattergebirge (einem Viertel in Magdeburgs Altstadt, das vor dem 2. Weltkrieg als das am dichtesten besiedelten Wohnviertel Deutschlands galt), der den Krieg nicht überlebt, dem Abstieg in bittere Armut, die mit dem Wachsen ihrer Familie gleichzeitig verlief, furchtbare Kriegserlebnisse, der Aufbau des Landes, ihrem beruflichen Neuanfang und dem Leben in der DDR bis hin zum Anschluss der DDR an die BRD. Blumen und Pflanzen ziehen sich weiter durch ihr Leben und sei es nur in einem winzigen Streifen Beet vorm Fenster, den sie bewirtschaften darf.

So emotional wie die Themen im Buch auch sind, so reduziert, distanziert und fast berichthaft ist der Schreibstil. Durch das hohe Erzähltempo erdrückt einen keines der zeitweise sehr furchtbaren Details, denn bevor man sich zu sehr in eines reindenken kann, folgt schon das nächste. Hannah nimmt das Leben einfach wie es kommt. Das erinnert mich sehr an meine Großmutter, die ca dieselbe Lebenspanne hatte und deren Erzählungen mir vieles im Buch bekannt vorkommen lassen hat. Auch meine Großmutter war eine Frau, die gefallen, aufgestanden und einfach weitergemacht hat. Davon zu lesen, hat mich zutiefst berührt. Ich frage mich immer wieder, woher diese Frauen die Kraft genommen haben. Die Antwort darauf liefert Annett Gröschner nur zwischen den Zeilen. Am Ende verbleibe ich mit riesigem Respekt vor den Stärken von Frauen, die riesige Lasten stemmen können, sich um ihre Familien kümmern, die Unfähigkeit der Männer ertragen und die Frauenfeindlichkeit.