Funktionsstörung

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buecherfan.wit Avatar

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Wenn eine Leseprobe auf S. 243 beginnt, ist es nicht verwunderlich, wenn der Text teilweise nicht verständlich ist. So wird der Leser mit einer Fülle von Namen konfrontiert, die ihm nichts sagen.  Eine Einführung oder eine Erklärung, welche Bedeutung all diese Leute für die Ich-Erzählerin Philomena haben, erfolgt natürlich an dieser Stelle nicht mehr.

 Philomena hat ein Vollstipendium an der Universität von Stanford, studiert Englisch und Französisch und trainiert mit dem Schwimmteam. Um ihre Leistungen zu verbessern, muss sie ihre Zuckersucht bekämpfen und nach einer strengen Diät leben. Das ist jedoch nicht ihr einziges Problem. Sie hat Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht, genauer gesagt, sie hat Angst vor Sex. Aus diesem Grund erhält sie viele ungebetene Ratschläge für das erste Mal von ihren Freundinnnen und Bekannten, und die Autorin nutzt die Gelegenheit, bizarre Details über das Sexualleben einer Vielzahl unbekannter Personen einfließen zu lassen ("mit einer Karotte", "ein Mädchen ... hat ihre Jungfräulichkeit an eine Dose Bohnen verloren", "auf ihrer Highschool sei ein Mädchen gewesen, das seine Jungfräulichkeit an den Lieblingshund verloren hatte.") Skurril. 

Doch nicht nur Philomena hat Probleme, ihr familiäres Umfeld ist ebenfalls schwer gestört.  Ihre Mutter verbringt den Tag lesend im Bett, weigert sich, das Haus zu verlassen und übersteht den Tag nur durch die regelmäßige Einnahme blauer Pillen. Philomenas Schwester Dot, die früher die Mutterrolle in der Familie übernommen hatte, hat sich seit ihrer Heirat  mit einem Holzkopf völlig verändert. Sie ist hart und aggressiv geworden und rechnet auch brutal mit der drogenabhängigen Schwester Roxanne ab.

Mit ihrem Roman über eine nicht mehr funktionierende Familie liegt die Autorin voll im Trend des letzten Jahrzehnts. Es gibt eine Fülle von Romanen - der bedeutendste sicherlich Jonathan Franzens, Die Korrekturen aus dem Jahr 2001, aber auch Matthew Sharpes Eine amerikanische Familie oder Jane Hamiltons Die kurze Geschichte eines Prinzen und viele andere - und Filmen (Eissturm, die Filme von Sam Mendes wie z.B. American Beauty, Zeiten des Aufruhrs oder der neue Film Away We Go), die das Thema - dysfunctional family relationships - behandeln.  Nicola Keegan muss sich da an großen Vorgängern messen lassen. Auf der Basis der Leseprobe ist für mich das überschwängliche Lob in der Presse, die von einer unvergleichlich wortgewaltigen Erzählerin spricht und ihren Roman auf dem literarischen Olymp ansiedelt, nicht so ganz nachvollziehbar. Der Romanausschnitt scheint mir nur bedingt interessant und mäßig spannend.