Recherche und Reflexion

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merkurina Avatar

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Der Vater der Autorin starb 33jährig als sie noch ein Baby war als Beifahrer im Auto. Der Unfallverursacher saß in einem entgegenkommenden Fahrzeug, hatte fahrlässig überholt und trug die Alleinschuld. Für Zora del Buona war er immer der "Töter", eher ein Monster als ein ebenfalls beklagenswerter Mensch. Sie wusste nichts über ihn und die lebenslang trauernde Mutter schwieg auch weitgehend über die Tragödie.
Als die Autorin 60 jahre alt ist und die Mutter mittlerweile fortgeschritten dement, ohnehin jeder Erinnerung beraubt, macht sich Zora del Buono auf die Suche nach dem damaligen Täter/Töter.
Das Buch ist zunächst eine Art autofikitonaler Essayroman, sie streift, als müsse sie das eigentliche Thema erst vorsichtig umkreisen, anderes: Autos, Schweizer Verhältnisse, (die eigene) Homosexualität, die Demenz. Als die Recherchen dann doch fortschreiten, wird der essayistische Teil weniger.
Wieder einmal - das ging mir sehr bei Natascha Wodins "Sie kam aus Mariupol" bereits ganz arg so - bin ich beeindruckt, wie sehr im Fall der Fälle Archive und Archivare weiterhelfen können und wie gerne und fleißig sie es tun. Toll!
Das Buch liest sich angenehm, eine kluge, sanfte, bisweilen fast sachliche Art mit dem Thema umzugehen. Natascha Wodin etwa kriecht sehr viel mehr in ihre eigene Psyche und die der Verlorenen, riskiert sich vielleicht mehr und offensichtlicher, wenn sie sucht und schreibt. Eine andere autofiktionale Essayistin, die ich sehr mag, Sigrid Nunez, ist indes intellektuell komplizierter und dekonstruktivistischer als Zora del Buono.
Das Buch der Schweizerin ist intellektuell, aber auch klar, vielleicht etwas distanziert. Die Recherche mag mehr Kraft gekostet haben, als hier verraten wird.
Mit dem Buch kann man Eintauchen in die Schweiz der Gegenwart, in eine humanistische Haltung zur Welt und den Menschen und in Aspekte einer weiblichen Autobiographie.