Brilliant und erschreckend aktuell

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juanita Avatar

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Boston, 1974: Mitten in einem heißen Sommer erhitzt die anstehende Aufhebung der Rassentrennung an den öffentlichen Highschools die Gemüter der Bewohner. Es kommt zu massiven Protesten und Demonstrationen, die Stadt brodelt wie ein Hexenkessel. Mary Pat Fennessy hat aber größere Sorgen: Sie sucht ihre 17-jährige Tochter Jules, die von einem abendlichen Treffen mit Freunden nicht nach Hause gekommen ist. Ihre Nachforschungen bringen Entsetzliches ans Licht und die kaum zu ertragende Wahrheit macht aus der verzweifelten Mutter eine Rachegöttin...

Dennis Lehanes Roman ist nichts für Zartbesaitete und auch keine gute Wahl für Leser, die nach einer leichten, entspannenden Lektüre suchen. Der Autor beschäftigt sich darin mit einem unbequemen, unschönen und trotzdem sehr wichtigen und leider nach wie vor aktuellem Thema: dem Rassismus. Er versetzt uns durch sein schriftstellerisches Talent und eigene Kindheitserinnerungen in das Boston der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und erweckt ein Bild von einer Stadt zum Leben, die sich in einem Ausnahmezustand befindet. Es ist ein Stück bewegende Zeitgeschichte, das – wage ich zu vermuten – nicht vielen bekannt ist. Ich gestehe, auch ich hatte von „Busing“ und von den schlimmen Auswirkungen der als Integrationsversuch gedachten Regelung keinen blassen Schimmer. Schon allein deswegen fand ich das Buch sehr interessant. Interessant, aber auch schockierend: Dennis Lehane zeichnet eine Gesellschaft, die von allerhand Vorurteilen geprägt ist und zeigt auf, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, wenn sie sich den anderen überlegen fühlen. Der Roman zwingt zum Nachdenken über die damalige und über unsere heutige Zeit, in der sich in puncto Vorurteile und Gewalt leider herzlich wenig geändert hat. Die Lektüre macht sprachlos und wütend auf diese Umstände. Das Buch ist aber nicht nur eine Anklage, sondern aus meiner Sicht auch ein Appell an unsere Menschlichkeit und das Gute, das wir trotz unserer Fehler in uns tragen. Davon scheint der Autor überzeugt zu sein. Seine Protagonistin Mary Pat – notabene ein von Lehane wirklich meisterhaft kreierter Charakter - ist das beste Beispiel dafür. Aufgewachsen in Southie, dem „weißen“ Wohnviertel, hält sie sich ganz selbstverständlich für etwas Besseres als ihre afroamerikanischen Mitbürger. Erst ihre persönliche Tragödie öffnet ihr die Augen für die Ungerechtigkeiten, die sie erfahren. Mary Pat begreift, dass auch sie daran mitschuldig ist und versucht, Abbitte zu leisten.

Es wäre toll, wenn dieses Buch möglichst viele Menschen für die Thematik sensibilisieren und ähnlich wachrütteln könnte – das Potenzial dazu hat es allemal. Ich persönlich könnte es mir auch gut als Schullektüre für ältere Jahrgänge vorstellen.

Fazit: Ein wichtiger, großartig geschriebener Roman, dessen Handlung unter die Haut geht und einen nur schwer loslässt – von mir fünf Sterne und eine absolute Leseempfehlung!