Konnte mich nicht erreichen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
elchi130 Avatar

Von

Boston im Jahre 1974: Ein Gericht hat beschlossen, dass die Rassentrennung an den Schulen mit dem Beginn des nächsten Jahres aufgehoben wird. Per Losverfahren werden schwarze Schüler mit dem Bus an eine bisher rein weiße Schule gebracht und umgekehrt. In dieser angespannten Lage wird ein schwarzer Jugendlicher im Stadtteil Southie, dem Gebiet der Iren, tot neben den Bahngleisen aufgefunden. War es ein Unfall, Selbstmord oder Mord? Seit dieser Nacht ist zudem die 17-jährige Jules, die in Southie aufgewachsen ist, verschwunden. Ihre Mutter Mary Pat macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter und trifft auf eine Mauer des Schweigens.

Ich habe mir sehr viel von dem Buch „Sekunden der Gnade“ des Schriftstellers Dennis Lehane versprochen. Vor vielen Jahren gehörte die Kenzie-Gennaro-Reihe des Autors zu meinen absoluten Lieblingsreihen. Sein Schreibstil ist brutal. Seine Figuren sind vom Leben gezeichnete Menschen, die für Gerechtigkeit kämpfen. Er legt den Finger immer genau in die Wunde.

All das findet sich auch in seinem neuen Buch. Aber trotzdem war es mir einfach zu wenig. Zum einen beschäftigt sich das Buch mit den mafiösen Strukturen innerhalb des irischen Stadtteils Southie. Alle Bewohner dieses Viertels wachsen als Teil einer Gemeinschaft auf. Sie kennen die unausgesprochenen Regeln und Gesetze, innerhalb derer die Gemeinschaft funktioniert. Zum anderen legt der Autor die Strukturen offen, nach denen Rassismus entsteht und bereits im Babyalter erlernt wird – und das auf beiden Seiten. Denn sowohl die weiße als auch die schwarze Bevölkerung Bostons hat ihre Meinungen und Vorurteile, wie die Welt der jeweils anderen funktioniert. Beides ist interessant, wirkt auf mich jedoch in Teilen zu oberflächlich. Dem Buch hätte es gut getan, wenn der Autor sich auf einen der beiden Aspekte konzentriert hätte. Besonders der Rassismus rückte meiner Meinung nach immer wieder zu sehr in den Hintergrund.

Die Story habe ich außerdem oft als eher vor sich hindümpelnd empfunden. Mir fehlte definitiv Tempo, um mich zu fesseln. Wir begleiten Mary Pat auf der Suche nach ihrer Tochter, erfahren viel über ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Und genau das hat mir immer wieder das Gefühl gegeben, dass der Schriftsteller mit angezogener Handbremse unterwegs ist.

Dazu kommt, dass ich die Geschichte nicht als neu empfunden habe. Sowohl über die Ungerechtigkeiten, die aus Rassismus entstehen, habe ich bereits viele Bücher gelesen als auch darüber, wie die Mafia ganze Stadtteile in ihrer Hand hat und führt. Bei beiden Themen hat der Autor mir nichts Neues präsentiert.