Pulverfass Southie

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fornika Avatar

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Eigentlich hat Mary Pat schon genug Probleme am Hals: das Gas ist abgedreht, der Strom geht oder geht nicht, sie ackert sich krumm ohne jemals auf einen grünen Zweig zu kommen; und da ist noch die kleine Tatsache, an der sich die ganze Stadt aufreibt: weiße Schüler sollen auf schwarze Schulen gehen und umgekehrt. Doch all das gerät in Vergessenheit als ihre Tochter Jules nicht mehr nach Hause kommt. Sie hofft auf die Mithilfe ihrer Nachbarschaft, die sich sonst durch ihren starken Zusammenhalt auszeichnet; doch schnell wird klar, dass niemand ihr helfen will, und so macht sie sich letztendlich alleine auf die Suche.
Lehane fängt in seinem Roman die in mehr als einer Hinsicht aufgeheizte Stimmung des Bostons von `74 ein. Der Alltagsrassismus treibt z.T. abstruse Blüten, auf beiden Seiten. Zusätzlich wird die Stimmung von Meinungsmachern künstlich angestachelt. Der Autor gibt den Mikrokosmus der Gemeinschaft in Southie sehr lebensecht wieder. Die Nachbarschaft ist schon eine ganz besondere: man kümmert sich umeinander, man passt aufeinander auf, aber es müssen sich schon alle an die ganz eigenen Regeln halten, sonst drohen Konsequenzen. Wer durch das Raster fällt, kämpft ganz alleine auf verlorenem Posten. Diese Verzweiflung und auch Hoffnungslosigkeit verkörpert Mary Pat sehr plastisch. Sie ist eine sehr starke Frau, auch wenn sie zunächst unscheinbar wirkt. Ihre Figur bei ihrer Entwicklung zu beobachten, war wirklich interessant. Die Handlung ist naturgemäß schon mal brutal und schonungslos, der Autor lässt trotzdem auch genug Zeit zum Nachdenken.
Sekunden der Gnade ist ein spannender, aber auch sozialkritischer Roman, der den Fokus auf eine wirklich außergewöhnliche Zeit legt und dabei doch zu unterhalten weiß. Mir hat er gut gefallen.