Potenzial verschenkt

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noiram Avatar

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Meine Erwartungen an "Shark Heart" waren hoch. Ich erhoffte mir eine fantasievolle Romanerzählung, die das Schicksal von Wren und Lewis auf packende Weise beleuchtet. Die anfängliche Beschreibung versprach eine tiefgehende Geschichte, und ich war gespannt, welche erzählerischen Wege das Buch gehen würde. Bedauerlicherweise entpuppte sich der Roman als ein dreiteiliges Konstrukt, dessen Aufbau zwar ambitioniert wirkte, in der praktischen Leseerfahrung jedoch Schwächen offenbarte.
Der erste Teil ist ganz den Protagonisten Wren und Lewis gewidmet. Er schildert ihre Liebe, Lewis' erschütternde Diagnose und die fortschreitende Krankheit, die sie schließlich, bedingt durch die Umstände, entzweit. Dieser Abschnitt berührt, schafft eine emotionale Verbindung zu den Figuren und legt ein starkes Fundament – dachte ich zumindest. Doch abrupt ändert sich die Perspektive: Der zweite Teil rückt Wrens Mutter Angela in den Mittelpunkt. Durch weitreichende Zeitsprünge erfährt man als Leser die Hintergründe von Angelas Schwangerschaft sowie Wrens Aufwachsen und Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter. Dieser Bruch in der Erzählweise war für mich nur schwer nachzuvollziehen und zerriss den zuvor sorgfältig gesponnenen erzählerischen Faden. Ich verstand die Absicht, die Familiengeschichte zu erweitern, doch die Integration wirkte eher holprig als organisch.
Und als ob das nicht genug wäre, setzt der dritte Teil des Romans die Handlung in einer völlig neuen Umgebung fort – im Meer, wo Lewis ein neues Leben in Form eines Hais beginnt. Ja, Sie haben richtig gelesen: Als Hai. Wie diese drei fundamental unterschiedlichen Erzählstränge zusammenpassen sollten, blieb mir während des Lesens schleierhaft. Der rote Faden, der die Teile zu einem stimmigen Ganzen verbinden sollte, fehlte mir schmerzlich. Es wirkte, als wären hier eher lose miteinander verbundene Novellen als ein zusammenhängender Roman entstanden.
Die Prosa der Autorin ist flüssig und angenehm zu lesen, was die Lektüre trotz der strukturellen Unebenheiten erträglich macht. Einige Passagen sind durch Lewis' berufliche Vergangenheit beeinflusst – er hegte den Wunsch, im Theater tätig zu sein und verfasste Drehbücher. Dies sorgt für eine willkommene Abwechslung und verleiht dem Werk eine kreative Note, die ich durchaus zu schätzen wusste.
Die Charaktere sind unterschiedlich sympathisch gezeichnet. Das Einfühlen in Wren, Lewis und Angela gestaltete sich jedoch stellenweise schwierig. Ich konnte viele ihrer Entscheidungen und Reaktionen nicht nachvollziehen, was die emotionale Nähe beeinträchtigte. Inhaltlich konzentriert sich der Roman auf die Themen Verlust und Trauer, was im Kern gut umgesetzt ist. Die faszinierende Grundidee einer Krankheit, die Menschen in Tiergestalten verwandelt, finde ich persönlich äußerst originell und packend. Dennoch bleibt die Umsetzung in "Shark Heart" ausbaufähig. Meiner Ansicht nach hat die Autorin das Potenzial dieser spannenden Prämisse nicht voll ausgeschöpft.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Shark Heart" eine Geschichte mit vielversprechenden Ansätzen ist, die jedoch an ihrer Ausführung krankt. Die sprunghafte Struktur und das Fehlen eines klaren erzählerischen Bogens haben mich als Leserin oft im Unklaren gelassen. Trotz der zugänglichen Sprache und der interessanten Grundidee bleibt das Buch hinter dem zurück, was es hätte sein können.