Die große Kunst zu leben

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marapaya Avatar

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Was haben ein Rodeoreiter, ein Farmer, ein Broker und ein Independent Rockstar gemeinsam? Sie sind alle zusammen in einem kleinen Nest namens Little Wing aufgewachsen und seit Kindertagen miteinander mal mehr, mal weniger gut befreundet.
Farmer Henry ist der Anker der Vierertruppe. Sein Herz schlägt zu 200 Prozent für die Landwirtschaft und für Beth, die schönste Frau des Ortes. Seine Heimat würde er unter keinen Umständen der Welt verlassen, um irgendwo anders sein Glück zu suchen.
Ronny war mal erfolgreicher Rodeoreiter und leider auch ein sehr erfolgreicher Trinker, bis er eines Nachts eine üble Begegnung mit dem Bürgersteig hatte. Seitdem arbeitet sein Kopf etwas langsamer und die wilden Rodeozeiten waren vorbei. Er hängt in Little Wing fest und ist gleichzeitig dankbar, aber auch abgestoßen von der Fürsorge der Einwohner.
Nach einer erfolgreichen Zeit in Chicago kehrt Rohstoffmakler Kip nach Little Wing zurück und nimmt sich ein Riesenprojekt vor, um allen im Dorf zu zeigen, dass er es zu etwas gebracht hat und davon nun auch seine Heimat profitieren soll. Kip aber steht im Schatten von Little Wings großem Rockstar. Corvus alias Lee hat lange und hart gekämpft, um von seiner Musik leben zu können. Sein Album Shotgun Lovesongs hat ihn in der ganzen Welt berühmt gemacht und ist ausgerechnet heimlich der Frau gewidmet, die sein bester Freund Henry seit Jugendtagen liebt und mit der dieser eine Familie gegründet hat.
Nickolas Butler erzählt seinen Roman aus dem Blickwinkel von fünf verschiedenen Figuren, neben den vier Freunden kommt auch Beth zu Wort. Die Handlung spielt in einer unbestimmten Gegenwart, die Freunde aber erzählen auch in Rückblenden aus ihrem Leben und der Zeit in Little Wing. Wir lernen die Charaktere so kennen, wie sie von den anderen gesehen werden und erhalten auch einen Einblick darin, wie sie sich selbst wahrnehmen und welche Geheimnisse sie voreinander verbergen. Es gibt keinen wirklichen Plot in Butlers Buch. Kein bestimmter Anfang oder definitives Ende der Geschichte, sondern einfach ein Mittendrin. Wie ein Querschnitt im Leben von Freunden aus Kindertagen, die an einem Punkt in ihrem Leben mal wieder alle im gleichen Ort irgendwo im mittleren Westen der USA zusammenleben.
Die Jungdreißiger sind auf der Suche nach ihrem Glück im Leben, blicken auf das, was die anderen erreicht haben und hadern mit dem eigenen Weg. Freundschaften und Beziehungen werden auf harte Proben gestellt, Lebensentwürfe wieder verworfen und neue Wege ausprobiert.
Ich lese Butlers Roman als Querschnitt unserer sogenannten westlich zivilisierten Welt. Little Wing könnte auch irgendwo in Europa oder Australien liegen – Glück und Erfolg liegen im Auge des Betrachters. Sich daran zu orientieren, was die anderen haben oder nicht haben, kann mich vielleicht auf die eine oder andere gute Idee bringen, manchmal auch auf eine schlechte, aber am Ende sollte ich doch ehrlich in mich selbst hineinhören und mich fragen, welcher Weg ganz allein für meine Person bestimmt ist und mich meinem persönlichen Glück am nächsten bringen kann.