Die Geister der Vergangenheit

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Das Buch fällt zunächst einmal schon aufgrund des Titelbildes auf, das eine nach Insekten schnappende Regenbogenforelle abbildet. Der Sinn einer Regenbogenforelle in Kasachstan erschließt sich wohl erst über ihre Charaktereigenschaften, die Forelle gilt als sehr robust und anpassungsfähig und in Bezug auf Nahrung als nicht sonderlich wählerisch. Diese Eigenschaften brauchten auch die Menschen, die die Rote Armee im Sommer 1945 hinter den Ural verschleppte, egal ob das nun Kasachstan war oder nördlichere Gebiete in Taiga und Tundra. Alles wurde unter dem Begriff Sibirien zusammengefasst. Und in russisch heißt Sibirien SIBIR und damit ergibt sich auch der Titel des Buches.
Es gibt zwei parallele Handlungsstränge, einer spielt 1945 und in den Jahren danach und betrifft die Verschleppung einer Familie aus dem Egerland in die kasachische Steppe. Verschleppt wurde der damals 10jährige Josef Ambacher zusammen mit seiner Familie. Diese Familie besteht zunächst einmal aus Mutter, Großeltern und Tante, der Vater war im Krieg gefallen.
Auch die Mutter bleibt nicht lange bei Ihnen, der erste Schneesturm am Tag ihrer Ankunft in Nowa Karlova verwischt für immer ihre Spuren. Glücklicherweise ist Josef noch ein Kind, er kann sich anpassen, ist lernwillig und –fähig und er ist auch offen gegenüber ganz fremden Kulturen wie den Kasachen im Nachbardorf. Mit dem gleichaltrigen Tachawi freundet er sich schon ganz zu Anfang an und die Freundschaft bleibt bestehen. Die Familie hat insofern Glück, als ihre Berufskenntnisse im Dorf und in der Kolchose gefragt sind, die Tante ist Krankenschwester und findet sofort eine Anstellung im Medpunkt, der Großvater ist Tischler, auch seine Kenntnisse sind gefragt.
Die zweite Handlung spielt am Rand der Lüneburger Heide in Niedersachsen, 45 Jahre später, kurz vor und nach der Wiedervereinigung.
Die damals verschleppte Familie Amberger konnte 1955 wieder nach Deutschland zurückkehren und baute sich eine Zukunft in Niedersachsen auf. Das Erlebte war aber im Unterbewusstsein immer vorhanden und selbst die in Deutschland geborene Tochter Leila fühlt sich anders als die Kinder der „eingeborenen“ Niedersachsen. Sie bleibt in der Schule isoliert von den „Normalos“, ihre Freunde sind die Kinder anderer Auswandererfamilien. Und ähnlich wie der Vater spielen die Kinder in ihrer Freizeit Ausnahme- und Mangelsituationen nach und richten sich überall geheime Lager ein.
1990 öffnen sich die Grenzen und es kommen Tausende Russlanddeutsche, auch nach Niedersachsen. Mit diesen Spätaussiedlern kehren auch die Erinnerungen zurück, das damals Erlebte drängt wieder an die Oberfläche. Es scheint, als ob die Geister Kasachstans Josef Amberger noch immer in ihren Fängen halten. Seine Frau und Tochter Leila leiden darunter. Die Erinnerung bleibt bestehen, auch wenn man sich äußerlich von allem getrennt hat, was aus dieser Zeit noch vorhanden war.
Und so fasst Leila schließlich einen ganz besonderen Entschluss.
Eigentlich möchte man wissen, wie es weitergeht. Schafft es Leila, die Krankheit ihres Vaters aufzuhalten? Können die Geister endlich gebannt werden? Es ist ein Buch, das wohl noch einige Zeit nachwirken wird und das man vielleicht nach einigem Nachdenken auch noch einmal anders beurteilt. Es erschließt sich einem Zug um Zug.